Das Nuckel-Fest
by Neotomaxpublished on
Wenn man sich als Orakel in Ausbildung durch eine durchschnittliche Woche schlägt – mit der einen oder anderen fast geglückten Prophezeiung, einer explodierenden Suppenschüssel und mindestens einem leicht kokelnden Brauenansatz –, dann hat man sich am Ende auch etwas Ruhe verdient.
Zumindest dachte Rigga das.
Was sie jedoch bekam, war ein Brief, den Garo ihr brachte. Und damit war es mit der Ruhe vorbei.
»Einladung zum winterlichen Nuckel-Fest auf Schloss Orenfohr«, las Garo laut vor, der – wie immer – schneller las als sie, obwohl sie das Dokument in der Hand hielt. Er hatte diese Angewohnheit, Dinge schneller zu erfassen. Manchmal noch bevor sie stattfanden.
»Ich weiß, was da steht«, murrte Rigga und knickte das Pergament an der Stelle, wo es kunstvoll versiegelt gewesen war – also bevor sie es mit der Teekanne geöffnet hatte. »Ich verstehe nur nicht, warum ich eingeladen bin. In letzter Zeit will meine Orakel-Kugel nicht mehr mit mir zusammenarbeiten.«
Sie warf einen verstohlenen Blick auf eben jene Kugel, die beleidigt auf ihrem Regal lag und seit Wochen nur Nebel zeigte. Manchmal war darin vage ihr eigenes Gesicht zu erkennen – aber das war weniger eine Weissagung als ein optischer Unfall.
»Du bist das Orakel von Antia – in Ausbildung. Natürlich wirst du eingeladen.« Garo grinste. »Und vielleicht hat jemand ein gutes Wort eingelegt.«
»Du?«
»Ich hab nur erwähnt, dass du vielleicht gerne tanzt.«
»Ich tanze wie ein verletzter Truthahn auf Glatteis.«
»Ich weiß«, sagte er. Und lächelte.
Für einen kurzen Moment passierte nichts. Dann fiel eine Tasse von Riggas Regal, völlig ohne äußere Einwirkung. Die beiden starrten sie an.
Garo runzelte die Stirn. »War das deine Kugel?«
»Nein. Das war vermutlich das Universum. Es kann uns beide nicht leiden.«
Rigga seufzte, rollte das Pergament wieder zusammen (mehr oder weniger, es blieb ein wenig knitterig) und steckte es sich in die Tasche.
»Also gut. Nuckel-Fest. Schloss Orenfohr. Die königliche Gala mit Nuckeln, die jedem etwas schenken, was er nicht haben will.«
»Und einem großen Ball!«, ergänzte Garo.
»Oh, großartig. Ich werde mich verlaufen, fallen, etwas umwerfen und wahrscheinlich jemandem auf die Füße treten.«
»Wahrscheinlich mir«, sagte Garo.
»Wahrscheinlich.«
Der Schnee fiel in dicken, selbstgefälligen Flocken vom Himmel, als Rigga und Garo vor dem Torbogen von Schloss Orenfohr standen.
Der Wind trug ein Geräusch heran, das entfernt wie ein streitendes Walross klang, sich dann aber als Bläsertrio entpuppte, das neben dem Tor festlich-winterliche Melodien spielte. Alle waren bis zu den Knien im Schnee, der sich auf den breiten Hüten gesammelt hatte.
»Sag mir noch mal, warum wir zu Fuß weitergegangen sind?«, murmelte Rigga und stampfte ihre halb durchgeweichten Stiefel auf dem schneefreien Teppich ab, der quer über den Ehrenhof führte.
»Weil du aus der Kutsche gesprungen bist und nicht wieder einsteigen wolltest«, sagte Garo. »Es wäre dir zu schwer gewesen, das alles mitanzuhören.«
»Die Pferde haben angefangen zu diskutieren! Ich bin Orakel – keine Therapeutin für sprechende Pferde.«
Tatsächlich hatten die Pferde – zwei stämmige, hellgraue Wallache mit beeindruckender Lungenkapazität – einen argumentativen Schlagabtausch über die Existenz des freien Willens begonnen, kaum dass die Reise losgegangen war.
Der eine bestand darauf, dass sein Weg durch den Schnee vorherbestimmt sei, weil die Spuren vom Wagenrad ja schon da waren.
Der andere hielt dagegen, dass eben diese Spuren erst durch ihre Bewegung entstünden – was doch beweise, dass sie selbst entschieden, wohin sie liefen.
Es war ein philosophisches Dilemma, das irgendwann in einen Streit darüber kippte, ob man lieber Hafer oder Müsli zum Frühstück haben sollte.
Rigga wollte nicht mehr darüber nachdenken.
»Deshalb hatte der Kutscher auch einen Ohrenschutz«, bemerkte Garo. »Und deshalb war die Kutschfahrt so günstig.«
Vor ihnen erhob sich das Schloss in all seiner festlichen Absurdität. Türme, wo keine Türme nötig waren. Ein Hauptportal, das wie ein lachender Drache gestaltet war – inklusive beweglichem Maul. Und überall hingen leuchtende Nuckelfiguren aus gefrorenem Zucker, was das Schloss wie ein albtraumhaftes Zirkus-Bonbon wirken ließ.
Ein untersetzter Mann in rotem Brokat, mit zu vielen Knöpfen und zu wenig Geduld, eilte auf sie zu.
»Ah! Fräulein Kalkwinter und Begleitung! Willkommen zum Fest der Feste, dem Ball der Bälle, dem … äh … Nuckelnuckel-Dingens!«
»Dingens?«, meinte Rigga.
»Ich bin der Königliche Zeremonienmeister für Transdimensionale Geschenkverwaltung. Nennen Sie mich bitte Herr Glomb.«
»Ich will ihn nicht Herr Glomb nennen«, flüsterte Garo.
»Dies ist ein Jahr von großer Bedeutung«, fuhr Herr Glomb fort und schnaufte dabei, als hätte jedes seiner Worte Übergewicht. »Man sagt, die Nuckel seien … unberechenbarer denn je.«
»Oh, was für ein Glück«, murmelte Rigga, und sie folgten dem Zeremonienmeister ins Schloss.
Drinnen war es warm. Zu warm.
Ballgäste flanierten in Roben und Rüstungen, als gäbe es einen Preis für die höchste Stilstufe. Ein Magier trug seine eigene Glaskugel auf einem Samtkissen. Eine Gräfin führte zwölf sehr kleine Hunde, die jeweils ein Miniatur-Nuckelkostüm trugen.
»Hoffentlich schenken die Nuckel heute keine Flöhe«, sagte Garo.
»Letztes Jahr haben sie einem Abt einen lebendigen Aal geschenkt«, sagte Rigga. »Und der lebt jetzt im Taufbecken.«
»Vielleicht schenkt man mir ja Mut«, sagte Garo.
Rigga blickte ihn schräg an. »Wofür brauchst du Mut?«
»Für das hier«, sagte er – und hielt ihr die Hand hin.
Rigga sah ihn an, als hätte er vorgeschlagen, gemeinsam einen Drachen zu melken.
»Ein Tanz«, sagte er. »Nur zur Übung.«
Sie legte zögerlich ihre Hand in seine. Und stolperte prompt über den Saum ihres Kleids.
Garo fing sie. Und grinste.
Sie warf ihm einen Blick zu, der gleichzeitig tödlich und peinlich berührt war.
»Das war der Probenschritt«, sagte sie.
»War beeindruckend. Sehr originell in der Ausführung.«
Bevor sie kontern konnte, flackerte etwas am Rand des Raums.
Ein Schatten. Klein, rundlich, mit einem zipfeligen Hut.
Ein Geschenk-Nuckel. Und er starrte direkt zu ihr hinüber.
Es war kein grelles Licht, kein Knistern und auch kein Donnerschlag.
Es war eher ein etwas überraschtes »Plopp«.
Der Geschenknuckel war vor ihr erschienen, und hatte nach ihr gegriffen. Sie hatte noch Garos verdutztes Gesicht gesehen, dann war sie verschwunden. Verschwunden – aus dem Ballsaal, aus dem Schloss, aus der Realität, wie sie sie kannte – und stand nun in einem Garten, der zu freundlich war, um vertrauenswürdig zu sein.
Rosen. Überall Rosen. Sie rankten sich über Bögen, wuchsen in Spalieren, trugen Blüten in Farben, für die es in Antia noch keine Namen gab. Die Luft war schwer von süßem Duft, der ein wenig nach Vanille, ein wenig nach rosiger Magie roch.
Rigga blinzelte. Dann drehte sie sich einmal im Kreis.
»Nicht schon wieder…«, murmelte Rigga. Sie ahnte wo sie war. Bei wem sie war.
»Doch. Schon wieder.«
Die Stimme kam aus dem Nichts. Oder genauer gesagt, aus einem Rosenbusch, der mit einer Bewegung zur Seite wich, wie ein Vorhang auf einer sehr höflichen Theaterbühne.
Dahinter stand Rosalia von Chattingdale. In einem weißen Kleid und mit einem Hut, der selbst eine Rose zu sein schien.
»Rosalia?«, fragte Rigga.
»Rigga!« Die Rosenhexe breitete die Arme aus, als wolle sie sie gleichzeitig umarmen und in einen Blumenstrauß verwandeln. »Du bist gewachsen! Und deine Magie ist stärker geworden. Wie schön.«
»Ich wurde gerade von einem Geschenk-Nuckel aus dem Ballsaal gekidnappt«, sagte Rigga. »Also … nicht so schön.«
»Nein. Aber interessant.«
Rosalia führte sie durch ein Labyrinth aus Hecken, das sich bei jeder Wegbiegung selbst neu sortierte.
»Ich hab dich gerufen. Na ja, nicht direkt. Die Nuckel haben reagiert. Es war… ein Versuch, dich zu retten.«
»Zu retten? Vor was?«
Sie blieben stehen. Vor ihnen stand eine riesige Rosenblüte, die langsam aufging. Und in ihrem Innern war kein Stempel, sondern eine Öffnung.
Ein Fenster.
Auf ein düsteres Labor.
Gläser. Gläser voller zuckender, nervöser Geschenk-Nuckel, die an ihren Zipfelmützen zerrten.
Eine Gestalt bewegte sich zwischen den Behältern. Gekrümmt. Alt.
Eine Hexe. Mit Augen, die wie verglaste Scherben wirkten.
»Mia«, sagte Rigga.
»Mia«, sagte Rosalia leise. »Du erinnerst dich?«
»Schwer, sie zu vergessen. Ich schulde ihr noch einen Fluch.«
»Sie hat versucht, dich auszuschalten. Hat ihre Magie in die Nuckel-Welt gestreut. Nur – Nuckel lassen sich nicht gerne kontrollieren.«
»Sie haben mich gerettet?«
»Die, die nicht gefangen sind, ja. Einer hat dich geschnappt und hierher gebracht. Ich hab ihn vielleicht ein kleines bisschen beeinflusst.«
Rigga seufzte. »Natürlich. Und was jetzt?«
Rosalia lächelte sanft.
»Jetzt gehen wir rüber. Und sagen hallo.«
Die Rosen um sie herum begannen sich zu bewegen, als hätten sie die Entscheidung belauscht. Ranken bildeten einen Tunnel, der nach etwas zwischen Zukunft, Wahnsinn und Rosenparfum roch.
Rigga griff nach dem kleinen magischen Stein, den ihr Garo einst geschenkt hatte. Seitdem trug sie ihn immer mit sich. Er fühlte sich kalt an. Schwer. Aber ruhig.
»Und wenn Mia uns sieht?«, fragte sie.
Rosalia zwinkerte. »Dann zeigen wir ihr, dass Rosen nicht nur schön sind und duften – sondern auch Dornen haben.«
Der Tunnel aus Rosenranken endete nicht mit einem Lichtstrahl.
Er endete mit einem leichten Kratzen, einem Ploppen – und einem Schwall kalter, modrig-duftender Luft, der nach Schwefel, Tinte und ein bisschen wie verbrannter Zucker roch.
»Willkommen im Labor der dunklen Mia«, murmelte Rosalia.
Rigga trat aus dem Tunnel – und sofort in eine Pfütze aus irgendetwas, das dampfte. Sie ignorierte es. Oder zumindest versuchte sie es.
Vor ihr lag ein Saal aus Glas und Stahl, Rohren und Gefäßen, Licht und Schatten. Auf langen Tischen blubberten Kolben. In der Luft schwebten kleine, leuchtende Runen wie müde Glühwürmchen. Und an den Wänden hingen große, bauchige Gläser – mindestens zwanzig Stück – in denen je ein Geschenk-Nuckel saß.
Oder zappelte.
Oder versuchte, durch Wände zu flüstern.
Rigga trat näher. Einer der Nuckel – klein, rundlich, mit einer extrem unpassenden goldenen Schleife um den Bauch – schaute sie mit einem flehenden Blick an.
»Ich glaube, ich bin sauer auf euch«, flüsterte Rigga. »Aber ich werde euch trotzdem retten.«
Eine Tür klirrte. Schritte. Das rhythmische Schleifen eines Zauberstabs über den Boden.
»Wie poetisch«, kam eine Stimme. Krächzend, aber kontrolliert.
Dann trat sie aus dem Dunst. Mia.
Hexe Mia war alt. Aber nicht auf die schrullige, knorrige Art – sondern auf die präzise, kalte Weise. Wie ein Uhrwerk, das überlebt hatte, weil es jeden Morgen sich selbst aufgezogen hatte.
Sie trug einen Kittel. Weiß, mit Flecken. Vermutlich einst von Bedeutung. In der Hand hielt sie einen Zauberstab, wie eine Antenne für böse Gedanken.
Ihre Augen wirkten wie dunkle verglaste Scherben. Sie richteten sich direkt auf Rigga.
»Da ist sie ja. Das kleine Orakel.« Ihre Stimme war kalt und verbarg nicht den Hass, der darin lag.
»Hallo Mia«, sagte Rigga und hob die Hand zum Gruß. »Ich mag, was du aus dem Ort gemacht hast. Sehr … industriell.« Sie schickte ein unschuldiges Lächeln hinterher.
»Du solltest nicht hier sein.«
»Du auch nicht. Du bist für immer aus Antia verbannt, wenn ich mich recht entsinne.«
Mias Miene zuckte. Dann lächelte sie. Es war ein Lächeln, das in einer anderen Geschichte zu einem Dolch geworden wäre.
»Ich wollte dich töten, weißt du. Aber diese lächerlichen Nuckel… sie sind nicht kontrollierbar. Nicht vollständig. Nicht zuverlässig.«
»Das ist ihr besonderer Charme.«
»Das ist ihr Mangel!«
Sie schlug mit dem Zauberstab auf den Boden und einer der Nuckel in den Gläsern zuckte zusammen.
Rosalia trat neben Rigga.
»Mia, hör auf. Du hast genug Unfug angerichtet.«
»Unfug? Ich bringe Ordnung! Schluss mit Zufallsgeschenken, sinnlosen Überraschungen, goldenen Fischen und lebendigen Käseplatten! Ich gebe den Menschen, was sie brauchen. Struktur! Effizienz! Vorhersehbarkeit!«
»Also Langeweile?«, fragte Rigga.
Mia fauchte.
Dann tat Rosalia etwas Unerwartetes. Sie trat vor – und streckte die Arme aus.
Rosenranken schossen aus den Ritzen des Labors, krochen über Glas und Metall, wanden sich um Rohre und Kessel – und um Mia.
Nicht brutal. Nur bestimmt.
Mia versuchte, sich zu wehren. Aber es gelang ihr nicht. Ihr Zauberstab fiel zu Boden. All ihre Macht schien von den Rosen aufgesaugt zu werden.
Rigga rannte zu den Gläsern. Ihre Hände zitterten, als sie nach dem ersten Deckel griff.
Er ging schwer auf – und sofort entwich ein leiser Seufzer, als würde der Nuckel ausatmen.
Einer nach dem anderen öffnete sie die Gefäße.
Die Nuckel taumelten, kicherten, manche machten Saltos. Einer übergab sich leise in ein Messbecher-Set.
Dann berührte einer sie. Ein kleiner, blauer Nuckel mit einem viel zu großen Hut.
Er legte nur eine Hand auf ihren Arm. Ganz sanft.
Und dann – plopp.
Plopp.
Rigga stand mitten im Ballsaal.
Es war laut. Jemand schrie. Irgendjemand anderes ließ ein Tablett mit gefüllten Pastetchen fallen. Jemand anderes rief: »Sie ist zurück!«
Und in der Ecke setzte sich ein alter Hofmagier lächelnd hin – vermutlich, um sich alles genau zu notieren.
Rigga schnappte nach Luft. Ihr magischer Stein in der Tasche war warm. Ihre Haare standen in alle Richtungen. Ihr Kleid war leicht verkohlt am Saum. Und sie hatte den Duft von Rosen in der Nase.
Garo war der Erste, der sich bewegte. Er stürmte durch die Menge, schob höflich eine Herzogin beiseite, die das gar nicht gewohnt war, und blieb direkt vor ihr stehen.
»Du warst weg!«, sagte er.
Sie nickte.
»Bist du in Ordnung?«
Sie nickte nochmal.
»Du riechst … interessant.«
»Rosen«, sagte Rigga. »Und ein bisschen nach verbranntem Zucker.«
»Was ist passiert?«
Sie öffnete den Mund, überlegte, was sie sagen sollte – und schloss ihn wieder. »Ich erkläre es dir. Später. Vielleicht. Wahrscheinlich aber eher nicht.«
Garo nickte. Das reichte ihm. Er war gut im Warten.
Bevor sie noch etwas sagen konnte, erschien ein Lichtblitz.
Ein Nuckel erschien.
Er war klein, rundlich, hatte einen Bart aus goldenen Glitzerfäden und trug ein Schild mit der Aufschrift: Sonderzustellung.
Rigga blinzelte.
Der Nuckel verbeugte sich tief – und reichte ihr ein großes Paket. Dann verschwand er wieder. Ohne ein weiteres Wort. Ohne ein Geräusch. Nur ein Hauch von Zimt blieb zurück.
Rigga betrachtete das Paket. Es war weich eingewickelt in purpurnes Samtpapier und mit einem Band verschnürt, das sich beim Öffnen selbst entknotete – vermutlich aus reiner Effizienz.
Drinnen lag eine Kugel.
Nicht irgendeine.
Eine große, gläserne Orakelkugel. Rein. Leuchtend. Mit feinen Silberlinien durchzogen, als hätte das Schicksal selbst darin seine Fingerabdrücke hinterlassen.
Rigga hielt den Atem an.
Sie war wunderschön.
»Ist das …?«, begann Garo.
»Ja«, sagte Rigga. »Genau das. Endlich eine richtige Kugel.«
Rigga blickte auf.
Garo sah sie an. Mit dem Blick von jemandem, der gerade beschlossen hatte, nicht mehr zu warten.
Und dann, ganz plötzlich, fiel sie ihm um den Hals.
Es war keine durchdachte Geste. Kein geplantes Timing. Keine prophezeite Romantik.
Es war einfach nur – jetzt.
Und ehe Garo sich versah, küssten sie sich.
Mitten im Ballsaal. Vor dem halben Hof.
Vor zwei verdutzten Nuckeln, einer Gräfin, die einem Dackel die Augen zuhielt und einem Pagen, der daraufhin rückwärts gegen den Nachtischwagen torkelte.
Es war kein perfekter Kuss.
Aber ein echter.
Sie lösten sich langsam voneinander.
Garo grinste.
»Ich dachte, du tanzt nicht.«
»Ich tanze auch nicht«, sagte Rigga. »Aber ich küsse sehr selektiv.«
»Und jetzt?«, fragte er.
Rigga hob die neue Kugel hoch. Sie leuchtete ganz leicht.
»Jetzt? Jetzt wird’s vermutlich nur noch komplizierter.«
Sie dachte kurz nach.
»Aber vielleicht auch ein bisschen schöner.«
In der Ecke stand der alte Hofmagier auf, streckte sich. »Wird ein gutes Kapitel«, murmelte er und tippte auf das zugeklappte Notizbuch.
Dann begann die Musik wieder zu spielen. Und die Welt, die kurz aus dem Takt geraten war, fand zurück in ihren Rhythmus.
Die neue Kugel vibrierte ganz leise.
Aber das war sicher nichts.
Bestimmt nicht.