Rote Ratten

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»Was sollte das?« Rigga stand in der vernebelten Kammer des Orakels von Antia vor deren Tisch und versuchte es böse anzustarren. Der Effekt von wütend funkelnden Augen wurde durch den Nebel ein wenig abgemildert. Schlimmer noch, Riggas Augen fingen an zu tränen.

»Du willst doch ein Orakel werden, oder?«

Rigga war in die Kammer des Orakels gestürmt, kaum dass sie von ihrer Reise in den Wald von Idrith zurück war. Sie hatte den ganzen Weg überlegt, was sie sagen sollte, sich wütende und sehr geschliffene Worte überlegt. Doch jetzt fühlte sich ihr Kopf so leer an, wie die Rumflasche eines Matrosen.

»Ja! Will ich!«

Das Orakel hustete wieder - das tat es oft - und schien zu nicken.

»Es wird die Wiederkehr eines Helden erwartet.«

»Wer kommt?« Es war immer ein spannendes Thema in der Burg, wenn darüber spekuliert wurde, welcher Held erneut herkommt. Meist beendete die Prophezeiung des Orakels die Spannung.

»Du sollst es Prophezeien. Gehe zum König und verkünde deine Prophezeiung.« Zum König? Rigga ließ die Schultern sacken. Sie würde sich zum Gespött machen, wenn sie etwas Falsches sagt.

»Ich? Ich …«

»Hast du die Ankunft der Göttin Molly vorhersagen können?«

Rigga hatte sich oben an einer klebrigen Fichte festgebunden und eine Blume zerkaut. Da war es plötzlich einfach gewesen. Doch vor den König zu treten war etwas ganz anderes. Zudem hatte sie keine Blume dabei. Was auch besser war, denn sie hatte sich danach übergeben müssen. So was kam nicht gut an vor dem König und seinen Ratsleuten.

»Ja, aber …«

Erneut hustete das Orakel. Es klang gar nicht gut.

»Geh!«

Rigga überlegte, was sie nun machen sollte. Sie kam sich plötzlich dumm vor. Es würde ihr gerecht geschehen, wenn sie vor aller Augen versagt. Wahrscheinlich war das auch der Plan des Orakels.

Kurz darauf wurde sie in die Ratskammer gelassen und die Blicke der Männer und Frauen waren auf sie gerichtet. Ihr Vater Lohok saß am hinteren Ende des Tisches und starrte sie verwundert an. Der König erhob sich und nickte ihr zu. »Wohlan denn, Orakel in Ausbildung. Wir sind auf deine Prophezeiung gespannt.«

Das war sie selber auch. Was sollte sie nur tun? Sie stand da und kam sich so hilflos vor, wie eine der roten Ratten im Käfig des Kammerjägers. Tatsächlich schien ihr das die Lösung zu sein. Die roten Ratten … Dann sprudelte es aus ihr hervor:

»Es wird ein prächtiger Held erneut erscheinen und seine Farbe wird Rot sein, wie die der roten Ratten.« Sie merkte sofort, dass sie die Ratten besser nicht erwähnt hätte. »Und wer genau?«, rief Meister Moronk mit etwas lallender Stimme. Er hatte wohl etwas zu viel Wein getrunken. Sie erinnerte sich an einen der ersten Ratschläge des Orakels. Niemals zu genau sein. »Die Zukunft liegt in einem tiefen Nebel und verschleiert eine genaue Sicht auf den Helden.«

Der König nickte. »Dann danke ich dir, für diese Prophezeiung, kleines Orakel.«

Aufatmend verließ Rigga die Ratskammer und eine rote Ratte huschte an ihr vorbei. Sie sah ihr dankbar hinterher und hatte plötzlich Hunger auf einen leckeren Eintopf mit Rattenfleisch.