Das Haus der Familie Morgraus
by Neotomaxpublished on
Das Dorf Peinweh lag verfallen und vergessen am Rande eines alten Waldes im Schattenhain. Ein einziges Haus stand noch dort, wie ein stiller Wächter über den Ruinen seiner ehemaligen Gefährten. Doch dieses Haus umgab eine dunkle Legende.
Es hieß, es sollte ein Haus für eine frisch gegründete Familie, die Morgraus, sein, ein Geschenk des Vaters der Braut und es wurde zu einem Grab. Die Fenster hingen schief und die offene Tür wirkte in der Nacht wie ein hungriges Maul. Es war den Dorfbewohnen klargeworden, dass es dort spukte.
Es waren früher glückliche Menschen gewesen, die Morgraus. Doch an einem düsteren Herbstabend vor vielen Jahren war etwas Schreckliches geschehen: Der Ehemann und die beiden Töchter verschwanden spurlos. Nur die Mutter - Zania - blieb dort. Sie war einziger Zeuge oder gar die Mörderin. Vielleicht hatte sie ein Fluch getroffen, der sie zu einem Monster gemachte hatte, das dazu verdammt war mit seinen Schreien die Menschen zu erschrecken. Was es auch war, keiner der Dorfbewohner blieb.
Eines Halloween, als der Wind die gefallenen Blätter von den Bäumen riss und diese als hölzerne Skelette zurückließ, entschlossen sich zwei junge Kobolde – Lias und Droffu - das Geheimnis des Hauses zu lüften. Vielleicht war dort etwas zu holen. Sie waren jung und mutig und machten sich bei Anbruch der Nacht auf den Weg. Vor dem Haus stehend, blickten sie neugierig durch die geborstenen Fenster und hoben ihre Fackeln, um etwas zu erkennen.
»Das ist doch nur eine alte, verlassene Hütte«, murmelte Lias. Aber als sie eintraten, fühlte es sich an, als würde das Haus sie willkommen heißen. Der Boden knarrte unter ihren Füßen und der Staub tanzte in der kalten Luft, doch es war still – zu still.
Im Wohnzimmer stand noch das alte Sofa der Familie Morgrau. Eine Tasse Tee, längst mit einer seltsamen, grünlichen Patina überzogen, stand auf dem Tisch. Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben. Droffu wackelte mit seiner kleinen Fackel. »Ich weiß nicht, Lias. Vielleicht sollten wir einfach wieder abhauen.«
Doch Lias war immer der Abenteuerlustige und entdeckte eine Tür am Ende des Flurs. »Schau mal, eine Kellertür«, flüsterte er. Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er sie und sie stiegen zusammen die knarrenden Stufen hinab in die Finsternis.
Der Keller roch modrig, und die Luft war dicht und kühl. Auf halber Treppe glaubten sie, Schritte hinter sich zu hören, doch als sie sich umdrehten, war niemand da. Droffu schnappte nach Luft. »Hast du das auch gehört?«, fragte er zitternd.
Am Ende der Treppe stand eine große Kiste mit schweren Schlössern. Eine alte, verwitterte Inschrift zierte den Deckel: »Nur die, die hierher gehören, sollen eintreten.« Lias konnte seine Neugier nicht zurückhalten und griff nach der Kiste. Doch als seine Finger die kalte Oberfläche berührten, fing das Haus plötzlich an zu beben.
Die Kellertür schlug mit einem Krachen zu. Beide standen wie angewurzelt da, als ein eisiger Wind durch den Keller fegte. Droffu versuchte die Tür aufzureißen, doch sie war fest verschlossen. Der Keller wurde noch kälter, und aus dem Dunkeln ertönte ein Flüstern, das wie das Wispern vieler Stimmen klang.
»Warum seid ihr hier?«, flüsterten die Stimmen im Chor. »Warum wollt ihr wissen, was in diesem Haus geschah?«
Die Freunde pressten sich aneinander. Droffu rief mit brüchiger Stimme: »Wir wollten nur herausfinden, ob hier Schätze sind!«
Das Wispern wurde zu einem schaurigen Kichern. »Alle wollen nur den Schatz«, hallte es durch den Keller. »Und nun sind sie Teil davon… wie ihr es bald sein werdet.«
Plötzlich flackerten ihre Fackeln und gingen schließlich aus. Im Dunkeln spürten sie, wie etwas Kaltes und Unheimliches über ihre Haut strich. Dann sahen sie es – schattenhafte Gestalten, ihre Gesichter starr und leblos, ihre Augen leuchteten in einem trüben, gespenstischen Licht. Es waren die Morgraus - Vater und Töchter-, oder was von ihnen übrig war.
Droffu schrie, als die Gestalten auf sie zuglitten. Er versuchte sich zu bewegen, doch seine Beine waren wie festgefroren. Lias erging es ebenso – jeder von ihnen stand wie erstarrt, während die Schatten näher kamen.
»Seid willkommen«, flüsterte eine kalte Stimme und sie erblickten Zania, die grausame Hexe und diese schrie, als die finstere Dunkelheit die beiden Freunde verschlang.
Am nächsten Tag fanden die besorgten Eltern keine Spur von ihnen – nur zwei Kerzen, die auf der Fensterbank des alten Hauses brannten, und ein leises, unheimliches Flüstern, das wie ein Wispern von verlorenen Seelen klang.
