Ein Hohlkopf wird geboren
by Neotomaxpublished onJeremias Fingerschnipp war gestorben oder zumindest fast. Die sengenden Schmerzen schienen noch immer über seinen Körper zu kriechen, wie die Bisse von Feuerflöhen. Während er um sich schlug und hoffte, so das Leid zu verscheuchen, bat er inständig darum, dass er sterben könnte. Doch es war ihm nicht vergönnt und so fand er sich mit einem Mal in einem neuen Körper wieder.
Er würde sicher mit seinen Zähnen knirschen, wenn er noch welche hätte. Doch ihm war nichts weiter geblieben, als in einen Körper ohne Seele zu fahren. Er sah auf seine Hände, die straff bandagiert waren. Er ahnte sofort, wohin es ihn verschlagen hatte und das war schlimmer als der Tod.
Der Raum war dunkel, bis auf das Licht von ein paar Drakkentränen blieben die Ecken finster und unheimlich. Er hörte das Tropfen von Wasser, sah, wie die Höhlenwände feucht und moosig schimmerten, wie eine frische Wunde. Der einzige Ausgang wirkte wie ein dunkles, hungriges Maul. Er stand in einem wahren Berg aus Bandagen, die wie bräunliche Würmer um ihn herum verstreut waren. Dann erinnerte er sich, dass er dieses Schicksal nur einem Menschen zu verdanken hatte diesem kleinen Ungetüm namens Rigga Kalkwinter.
Er war in den Körper eines Hohlkopfes gefahren, bestehend aus Bandagen und nichts weiter. Diese Hohlköpfe waren bösartige Kreaturen, die von der Hexe Zania heraufbeschworen und wie seelenlose Waffen auf die Verteidiger von Antia geschleudert wurden.
Verteidiger von Antia? Pah! Eine Gruppe eitler Magier und Herrscher, die alles besitzen wollten und den dunklen Kreaturen und den Magiern der schwarzen Magie keinen Platz einräumen wollten. Deshalb hatte Mac'Haab zum Kampf gerufen und er - Fingerschnipp - hatte sich ihnen angeschlossen. Doch der Kampf, der große Krieg ging verloren und selbst Zania, die seelenlose Hexe hatte ihr Ende gefunden. Oder nicht?
Er tat einen vorsichtigen Schritt. Das funktionierte. Dann noch einen und beim dritten verhedderte sich sein linkes Bein in einer Bandage und er stürzte, dabei stieß er gegen einen Stapel Kürbisse, die nun polternd herumkullerten. Zum Glück war er weich gefallen. Er wusste nicht, ob er überhaupt noch schmerzen spüren konnte, doch darauf wollte er es auch nicht ankommen lassen.
Dann hörte er Schritte, langsam und schlurfend. Dazu kam ein seltsames Kichern, dass ihm einen Schauer über nicht mehr vorhandenen Rücken jagte. Dann erblickte er die Gestalt.
»Wer bist denn du?«, sagt der verkrüppelte Zwerg und sein verbliebenes Auge starrte ihn an mit einer Mischung aus Neugier und Hass. Kakbrax war ein treuer Diener seiner Meisterin Zania und wer in seine Fänge geriet, durfte nicht auf Gnade hoffen. Kakbrax war berühmt für seine Gemeinheit.
Jeremias versuchte etwas zu sagen, doch sein erbärmlicher neuer Körper war nicht dafür geschaffen. Hohlköpfe konnten kämpfen, aber nicht sprechen. Er sah, wie Kakbrax´ Blick durch die Höhle wanderte, die Bandagen zu seinen Füßen, und dann ihn wieder ansah. Dann lachte der Zwerg. Es war ein gemeines und hinterhältiges Lachen.
»Du hast dich in einen Hohlkopf verirrt?«
Jeremias nickte heftig. Viel mehr blieb ihm nicht. Er war auf diesen miesen Zwerg angewiesen.
»Wir brauchen niemanden mehr. Ich hätte diese verdammten Bandagen schon lange verbrennen sollen.« Kakbrax sah sich um, kratzte sich dabei am Hintern. »Jetzt kann ich wenigstens jemanden im Feuer tanzen sehen.« Jeremias schluckte - zumindest war ihm ganz danach, auch wenn sein Körper das nicht hergab. Dies war ganz die Gemeinheit, die den Handlanger Zanias auszeichnete.
Kakbrax stolzierte herum und murmelte immer wieder 'Bandagen verbrennen' und das unheilvolle Grinsen ließ Jeremias schlottern. Er wusste, dass er, eingewickelt wie eine Mumie, sicher keinen angenehmen Tanzpartner für ein Lagerfeuer abgeben würde. Doch gerade das würde Kakbrax eine besondere Freude bereiten.
Ach, warum ist der Zwerg nicht im Krieg gestorben?
Doch gerade, als Kakbrax eine Fackel an einer der schwach glimmenden Drachentränen anzündete, hörte er ein leises Kichern, das aus dem Schatten der Höhle zu kommen schien. Jeremias’ Hoffnung wuchs, als er die helle Stimme erkannte: Rigga Kalkwinter. Sie hatte ein seltsames Lächeln auf dem Gesicht.
»Kakbrax! Spielst du wieder mit Fackeln?«, fragte Rigga, während sie ins dämmrige Licht trat. Sie schien weder über Kakbrax noch über ihn, Jeremias Fingerschnipp - jetzt in einem Hohlkopf feststeckend - überrascht zu sein.
Kakbrax war sich wohl bewusst, dass man sich mit einer so mächtigen Magierin nicht anlegen sollte. Er starrte sie mit seinem einen Auge finster an.
»Du wolltest die Bandagen doch hoffentlich nicht anzünden.« Sie sah den Zwerg tadelnd an. Jermias hatte geglaubt, er hätte Rigga gekannt. Doch diese junge Frau war anders, selbstsicherer und ohne jede Furcht. Einen Moment fragte er sich, vor wem er jetzt mehr Angst hatte.
»Du solltest nicht hier sein!«, kam es dunkel vom Zwerg. »Dies ist eine Höhle, zu der nur die Meister der dunklen Traube Zugang haben.«
Rigga nickte. »Dann siehst du, dass ich hier sein darf.« Sie zog eine Phiole hervor, in der eine Flüssigkeit schimmerte, die dunkler war, als die tiefsten Schatten. Es war etwas, das unter Magiern als Droge bekannt war. Man nannte sie Schattenblut.
Jeremias hatte einst davon gekostet und in einem aufkommenden Wahn einen ganzen Wald in Flammen aufgehen lassen. Er konnte es nicht kontrollieren. Niemand konnte das. Er blinzelte - nein, seine Bandage bewegte sich nur etwas. Konnte Rigga Kalkwinter etwa die Droge beherrschen?
Sie kam heran, wobei sie Kakbrax ignorierte und strich über Jeremias bandagierten Arm. »Dies hier ist viel zu wertvoll, um es zu verbrennen.« Sie lachte leise. »Dafür wäre auch später noch Zeit.«
»Was willst du von ihm?«, kreischte Kakbrax und warf die Fackel auf die Bandagen. Diese fingen sofort Feuer und es raste auf Jeremias und Rigga zu.
Rigga jedoch hob die kleine Glasphiole in die Höhe, deren Inhalt dunkler als die tiefsten Schatten schimmerte. Sie wedelte damit vor Jeremias verpacktem Kopf und zwinkerte. »Du gehörst mir – nicht dem Feuer.«
Ihre Hand schoss vor, direkt durch die Bandagen von Jeremias Kopf. Dann zog sie die Bandagen etwas auseinander und schüttete den Inhalt der Phiole hinein. Jeremias spürte die Veränderung, das Reißen all seiner Glieder. Und nun war auch das Feuer heran, packte ihn und verwandelte ihn in eine brennende Statue.
Rigga stand vor ihm und lächelte. Das Feuer erreichte sie nicht - ein magischer Schutzschild, erkannte Jeremias. Doch ihm half es nicht. Seine Bandagen verbrannten und dann war er frei.
»Keine Sorge, Jeremias«, flüsterte Rigga mit einem amüsierten Grinsen, »ich habe dich gerade noch rechtzeitig gefunden, bevor du einen flammenden Tanz hinlegen musst.« Sie schüttete den Rest des Schattenbluttranks über die brennenden Bandagen und sprach ein paar seltsame Worte.
Sofort erhoben sich diese, formten eine riesige Gestalt aus brennenden Stoff, welche sich auf Kakbrax stürzte. Dieser schrie mit heller, panischer Stimme und rannte hinaus.Ein wenig benommen erkannte Jeremias, dass er nun zu einem Geist geworden war!
»Na also, nicht mehr so… steif gebunden.« Rigga zwinkerte. »Aber nun müssen wir überlegen, was wir mit dir anfangen.« Sie kicherte, als Jeremias mit seinen schwebenden Händen durch sein eigenes gespenstisches Selbst fuhr.
»Vielleicht solltest du bei uns in der Burg spuken. Denn einen Körper wirst du nie mehr haben.«
Ihr Lachen wurde von den moosigen Wänden zurückgeworfen, ließ es wie Häme auf ihn herabtropfen.
Er war für immer ein Geist.
Diese Strafe war schlimmer als der Tod.