Der Kürbiskopfreiter

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Es war ein lauer Herbstabend in Herbstknick, einem winzigen, halbvergessenen Dorf im Königreich Antia. Die Luft roch nach feuchtem Laub und gesüßtem Kürbispunsch. Und das allein hätte auch schön und gut sein können, wäre da nicht dieser eine nervtötende Umstand gewesen: Jede Nacht in den Wochen vor der Kürbisernte ritt der Kürbiskopfreiter durch das Dorf und erschreckte die Leute.

Der Kürbiskopfreiter, so sagte man, sei ein einsamer Geist mit einem leuchtenden Kürbis als Kopf, der die Felder heimsuchte, um Menschen zu jagen und sie daran zu hindern, die Kürbisse zu ernten. Sein Pferd, eine klapprige graue Mähre, trug ihn dann um Mitternacht bellend und keuchend durch die Gassen. Die Menschen hatten sich daran gewöhnt, und blieben in ihren Häusern. Aber das machte es nicht weniger lästig.

Doch an diesem Abend war in Herbstknick das kleine Orakel - Rigga Kalkwinter - angekommen. Der Dorfschulze hatte wiederholt um Hilfe gebeten und der König schickte Rigga dorthin, um sich die Sache mal genauer anzusehen.

Das kleine Orakel hatte sich die Geschichten angehört und einen Plan gefasst. Deshalb stand sie diesmal nun allein am Dorfeingang und erwartete die Spukgestalt. Sie trug keine Waffe und setzte wohl darauf, dass ein Mädchen, dass die Hände in die Hüften stemmt und finster guckt, genügen würde.

Von den Dorfbewohnern konnte sie keine Hilfe erwarten. Diese hatten sich in ihren Häusern verkrochen und alle Türen und Fenster waren verrammelt.

Sie musste nicht lange warten, dann hörte sie ein Grollen in der Ferne. Es war der Kürbiskopfreiter, der langsam durch die Nacht trabte. Sein Kürbiskopf glühte und sein Pferd sah aus, als sei es auf dem direkten Weg in den ewigen Ruhestand. Der Kürbiskopfreiter rief ihm ein »Na los, alter Knorpelsack!« zu, welches das Pferd wieder etwas schneller werden ließ.

Als der Reiter sich näherte, ließ Rigga einen lauten Pfiff ertönen. Das Pferd wieherte krächzend und empört machte es einen Schritt zurück.

»Wer wagt es, mich zu stören?«, dröhnte der Kürbiskopfreiter und seine Stimme klang wie eine knarrende Tür. Rigga lachte laut .

»Ich bin Rigga Kalkwinter, das kleine Orakel von Antia und möchte wissen, was das soll? Jeden Abend trabst du durchs Dorf und erschreckst alle.«

Der Reiter stutzte, und selbst durch die Flammen in seinen Augenhöhlen konnte man erkennen, dass er eine Antwort suchte. »Nun … ähm … es ist meine Aufgabe, die Menschen zu erschrecken!«, antwortete er ein wenig unsicher. »Das ist ein ehrenwertes Dasein! Und ich bin seit Jahrhunderten damit beschäftigt.« Dann murmelte er leiser: »Was soll ich auch sonst tun?«

»Du könntest dich irgendwo verkriechen und nie wieder erscheinen«, schlug Rigga vor. »Das wäre noch sehr viel ehrenwerter, als Menschen zu ängstigen.« Sie nahm die Hände von den Hüften. »Ein Leben als Kürbismann scheint mir nicht sehr erstrebenswert.«

»Ich bin kein Kürbismann«, polterte er los. »Dass ich diesen dämlichen Kürbis trage, ist einem unglücklichen Umstand zu verdanken! Einst war ich ein stolzer Ritter und - wenn ich das anmerken darf - sehr gut aussehend. Doch dann geschah dieses vermaledeite Unglück und ich bin verdammt auf ewig durch dieses Dorf zu reiten.«

Der Kürbiskopfreiter funkelte sie wütend an, doch Rigga musterte ihn, eher belustigt als beeindruckt.

»Na gut, dann erzähle mir von dem Unglück. Vielleicht kann ich dir helfen.«

Das Pferd schnaubte und die Flammen im Kürbiskopf schienen unruhiger zu flackern. Er dachte wohl über dieses Angebot nach. Rigga war die erste, die sich ihm stellte und ihm sogar helfen wollte.

»Gut«, donnerte er schließlich. »Doch du musst wissen, dass es mir schwer fällt, darüber zu sprechen.«

»Wir können uns in meinem Zelt unterhalten«, sagte Rigga leichthin und deutete auf ein graues, recht wackliges Zelt. Es war schlecht aufgebaut worden und der wenige Wind zupfte an den Planen.

Der Kürbiskopfreiter stieg umständlich vom Pferd. Seine Beine waren dünn, wie die eines Skelettes und unter dem pompösen Brustharnisch vermutete Rigga auch nicht mehr als ein paar dürre Rippen. Doch er folgte ihr in das Zelt. Sie ließ schnell ein magisches Licht entstehen, das sie in ein Gefäß verfrachtete. Dieses gab ein sanftes orangenes Licht. Im Zelt war nur ihr Bett und eine kleine Kristallkugel. Sie setzte sich hinter die Kugel und es dauerte etwas, bis der Kürbiskopfmann seine Beine dazu bringen konnte, sich auf dem Boden zu setzen.

»Wir sind unter uns«, sagte Rigga. »Nun raus mit der Geschichte.«

»Ich war wirklich einst ein Ritter«, sagte dieser nun etwas leiser.

»Und gut aussehend, stark und blah blah blah«, vollendete Rigga. »Komm gleich zum Kern. Oder zu diesem Kürbiskopfunglück.«

»Nun gut.« Der Kürbiskopf wackelte und die Knochen gaben bei jeder Gelegenheit kratzende Geräusche von sich. »Ich war gerade in diesem Ort hier und traf auf einen Mann, der behauptete, er könnte jeden im Würfelspiel besiegen.«

»Moment!«, sagte Rigga. »Du hast gewürfelt?«

»Ich wollte beweisen, dass er zu schlagen ist.« Ein Seufzen entfuhr ihm. »Aber ich verlor alles.«

»Sogar den Kopf?«

Erneut seufzte er. »Ja, sogar den. Ich war wie ihm Wahn und nahm jeden Einsatz an. Doch er wirkte wohl einen Zauber und am nächsten Tag erwachte ich auf dem Kürbisfeld. Ohne Kopf.«

Rigga nickte. »Da hast du dir einen der Kürbisse gegriffen und fristest seitdem dein Dasein damit, andere zu erschrecken?«

»Ich wollte sterben - doch das ging nicht. Dieser Zauber hielt mich an diesem Ort fest und«, er wurde lauter, »ich war verdammt!«

Rigga nickte schon wieder. »Das ist wohl nicht so gut gelaufen.« Sie sah das Kürbisgesicht an und schmunzelte. »Weißt du, wo dein Kopf ist?«

»Treib keine Scherze mit mir, Rigga Kalkwinter.«

»Das tue ich nicht. Ich denke, wenn du wieder vollständig bist, dann hebt sich dieser Fluch auf.«

»Mein Kopf?«, kam es erstaunt. »Er ist der Schlüssel?«

»Es ist alles nur in deinem Kopf«, sagte Rigga leise. »Na gut, dann lass uns mal nachsehen«, meinte sie schließlich und wischte über die Kristallkugel. Dann nahm sie diese in beide Hände und schüttelte sie ein paar Mal, bis sich seltsame Rauchwolken darin zu winden begannen. »Aha! Dein Kopf … er ist gar nicht so weit weg. Tatsächlich ist er irgendwo hier im Dorf.«

»Wirklich?« Der Kürbiskopfreiter sah sie hoffnungsvoll an.

»Ja«, sagte Rigga und drehte sich langsam zu ihm. »Aber das wird nicht einfach. Dein Kopf ist, wie ich sehe … in einer Truhe versteckt. Und diese Truhe … steht im Schuppen des Dorfschulzen.«

Der Reiter ließ vor Schreck den Kürbis wackeln. »Der Dorfschulze?«

»Keine Sorge«, beschwichtigte Rigga. »Wir werden dir deinen Kopf besorgen.«

Rigga und der Kürbiskopfreiter gingen zusammen zum Haus des Dorfschulzen. Es war nicht ratsam, dass dieser den Kürbiskopfreiter sah, daher schlichen sie sich um das Haus. Nachdem sie sich erfolgreich an zwei schnarchenden Knechten und einem sehr wachsamen Huhn vorbeigeschlichen hatten, betraten sie den Schuppen, wo der Schulze sein Gerümpel lagerte. In einer Ecke, unter einem Haufen alter Kartoffelsäcke, stand eine große Truhe. Rigga öffnete sie langsam, und da lag er – ein prachtvoller, wenn auch staubiger Skelettkopf. Gut, er ruhte in einer alten rostigen Pfanne und wirkte auf Rigga etwas beleidigt.

»Da ist er«, sagte Rigga triumphierend. Der Kürbiskopfreiter starrte ehrfürchtig in die Truhe, dann hob er mit einem vorsichtigen Griff seinen Kopf heraus. Mit einer Hand fegt er den Kürbis von den Schulten und setzte sich seinen lange vermissten Schädel auf die Schultern. Der Kürbiskopf explodierte mit einem Knall und Kürbismatsch verteilte sich im ganzen Schuppen. Rigga hatte eine ordentliche Ladung ins Gesicht bekommen. Als sie es fortwischte, sah sie, wie der Geisterritter sich langsam auflöste. Ein letztes Winken und er war verschwunden.

Der Schulze stürmte in die Scheune, gefolgt von seiner Frau, die einen Besen kampfbereit in den Händen hielt. Er blickte sich um und sah dann Rigga an. »Was ist geschehen?«

»Euer Kürbiskopfritter ist erlöst«, sagte sie schmunzelnd. »Er hat seinen Kopf in dieser alten Kiste gefunden. Wie kam er dahin?«

»Oh«, sagte der Schulze. »Der gehört zu dem ganzen Gerümpel eines alten Zauberers, der einst hier lebte. Er trieb mit den Menschen seinen Schabernack und irgendwann wurde er verjagt.«

Rigga nickte zufrieden. »Er kommt nicht wieder - der Kürbiskopfreiter. Der Zauberer wohl auch nicht. Ihr seid jetzt sicher und ich habe Lust auf eine schöne Kürbissuppe.«

Die Frau des Schulzen lachte laut und führte Rigga in ihre Küche.

Die Kürbissuppe war wirklich sehr lecker.