Zu viele Geheimnisse
by Neotomaxpublished onEs war ein toller Morgen, die Sonne lachte freundlich vom Himmel und ein paar Wölkchen zogen verloren über den Himmel in dem Versuch irgendwelche Bilder darzustellen, die dann da unten nur ein paar Kinder richtig erkannten. Die Erwachsenen lachten über die Kinder und starrten nach oben, verzweifelt bemüht, ihre Fantasie dazu zu bewegen, auch etwas in den Wolken zu erkennen. Sie gaben meist auf und hielten es für dummes Zeug.
Von den Wolken abgesehen, war der Morgen aber wirklich nahezu perfekt. Doch Rigga Kalkwinter wusste, dass es nicht so bleiben würde. Sie war fest entschlossen, diesen Moment noch etwas herauszuzögern, als sie ihre Beine aus dem schmalen Bett schwang. Sie gähnte leise, um Kazia nicht zu wecken, die auf der anderen Seite des Zeltes schlief und hoffentlich nicht mitbekommen hatte, dass Rigga sich einfach ins Bett geschlichen hatte.
»Wo warst du?«, sagte Kazia leise. Sie saß in ihrem Bett und sah Rigga prüfend an. »Du warst mit Puschel verschwunden und dann sehe ich dich nicht mehr. Ich habe befürchtet, dass dir was zugestoßen ist.«
Rigga hatte der Riesin Puschel versprochen, ihr Geheimnis zu bewahren. Obwohl es um Puschels Tochter Plimschi ging, die irgendwo in den Tiefen des Waldes festgehalten wurde und wohl jeder Monsterjäger in diesem Lager gerne wüsste, was sich im Herzen des Waldes der Monster verbirgt.
»Mir geht´s gut«, sagte Rigga leichthin und ihre Füße schlüpften in die warmen Pantoffeln, die ihr Vater ihr geschickt hatte.
»Das freut mich.« Sie hörte den eisigen Unterton in der Stimme ihrer Freundin. »Und wo warst du?«
Rigga biss sich auf die Unterlippe und vermied es Kazia anzusehen. Lügen war etwas, das Rigga nicht gut beherrschte. Deshalb ließ sie es lieber.
»Ich war im Wald.«
»Im Wald?« Irgendwie konnte Kazias Stimme noch kälter werden. »Mit Puschel?«
»Nein, ich war eher alleine dort.«
»Du bist alleine in den Wald?« Als Rigga sich zu Kazia umdrehte, sah sie in ihr fassungsloses Gesicht.
»Ja.«
»Alleine?« Kazia stand auf und stupste Rigga an, als wolle sie sich überzeugen, dass sie es nicht mit einem Geist zu tun hatte.
»Ja und du darfst niemandem davon erzählen!«
»Davon, dass du so bescheuert warst?«
»Es ging um Puschel«, sagte Rigga und verdrehte die Augen. »Sie ist auf der Suche nach ihrer Tochter.«
»Sie hat eine Tochter? Im Wald der Monster?«
»Genau.«
»Warum geht sie nicht einfach los und haut alles platt? Puschel ist eine Riesin. Wer könnte sie aufhalten?«
Rigga dachte an den traurigen Blick der Riesin, als sie erfahren hatte, dass ihre Tochter in Vacryppo sein sollte. Der Stadt im Herzen des Waldes. Dort wo irgendein durchgeknallter Obermotz eine Art Versuchsanlage betreibt, um Experimente an den Wesen vorzunehmen.
»Sie ist verschwunden«, sagte Rigga leise. »Ich weiß nicht, ob sie auf eigene Faust loszieht.«
»Sie ist ein großes Mädchen.« Kazia schüttelte den Kopf. Lange war es Rigga schwergefallen, sie zu mögen. Denn Kazia war einfach in fast allem so perfekt. Sie sah umwerfend aus, jede Bewegung war von einer graziösen Anmut, das einem schwindelig wurde. Sie war klug und konnte es als Kämpferin mit fast jedem aufnehmen. Rigga hatte sich neben ihr immer klein, hässlich und unbedeutend gefühlt. Doch dann hatte sie Rigga erklärt, dass es ihr nicht viel anders erging und sie sich neben Rigga, dem kleinen Orakel von Antia, ebenfalls unwichtig fühlte.
»Jedenfalls soll es niemand erfahren.«
»Was genau ist denn passiert?« Kazia hatte sich wieder gesetzt und schien nun wirklich alles wissen zu wollen. Rigga seufzte und begann zu erzählen. Natürlich schmückte sie es etwas aus und ein paar Sachen sind gar nicht passiert. Doch im Grunde blieb sie bei der Geschichte.
Nicht weit vom Zelt, in dem Rigga mit leiser Stimme die Geschichte vortrug, zuckten zwei grüne Ohren. Weiße Büschel schauten daraus hervor und der Besitzer dachte, dass ein Zelt kein guter Platz war, um Geheimnisse zu teilen. Obwohl es für ihn wiederum ideal war, da ihn niemand sah und er alles hören konnte.
Natürlich war es so, dass hier im Monsterlager die meisten an ihm vorbeisahen. Noch schlimmer, diese hochnäsigen Menschen sahen auf ihn herab. Ach, sogar die Zwerge schauten auf ihn herunter, obwohl er einige von ihnen überragte.
Doch jetzt hatte er etwas erfahren, das jeden Monsterjäger und insbesondere deren Anführer brennend interessieren würde. Wenn er seine Karten gut ausspielen würde, könnte er vielleicht nicht in Goldstücken schwimmen, aber sich darauf beschränken nur die richtig Reichen zu bestehlen.
Dann fiel ihm noch jemand ein, der sicher äußerst dankbar wäre, zu erfahren, was er gehört hatte.
Er nickte, als müsste er es sich selbst bestätigen. Dann schlich er sich leise weg, um einen Platz zum Nachdenken zu finden. Einen schönen warmen Platz.
Iso Latoto stand auf einem erhöhten Felsen, der normalerweise als Lagerplatz für die Vorräte diente, aber heute sein Rednerpult war. Die Abendsonne warf lange Schatten über das Lager der Monsterjäger, und der Geruch von feuchter Erde und verbrannten Überresten des letzten Monsters, dem sie den Garaus gemacht hatten, hing noch in der Luft. Drei der Ihren waren bei dieser letzten Jagd gefallen. Zwei Zwerge – Namen waren so schwer zu behalten, wenn man jede Woche mit neuen Zwergen zu tun hatte – und Dolder Batinte.
Dolder Batinte war… nun ja, das war eine gute Frage. Niemand wusste wirklich, was er gewesen war. Weder Zwerg, noch Elf, noch Mensch. Eine seltsame Mischung von allem vielleicht. Jetzt spielte das auch keine Rolle mehr, denn Dolder hatte sich auf die denkbar dauerhafteste Art verabschiedet: durchs Sterben.
Iso straffte die Schultern und sah auf die Monsterjäger herab. Es waren allesamt tapfere Männer und Frauen. Zwerge und Zwerginnen - auch wenn man bei ihnen kaum einen Unterschied feststellte. Natürlich waren auch ein paar Feiglinge dabei und er sah auch die drei Elfen aus Idrith, die sich nicht an den Kämpfen beteiligten, als ginge es sie nichts an. Aber jetzt waren sie auch da und schauten ihn wartend an. Er räusperte sich und hob die Stimme. Iso wusste, dass er seine Mannschaft irgendwie zusammenhalten musste. Der Tod war in diesem Gewerbe so alltäglich wie das Zähneputzen, aber er war immer noch ein guter Vorwand, um eine Ansprache zu halten. Und Reden halten konnte Iso, wenn es sein musste.
»Leute!«, begann er und hob die Hand, um das Gemurmel im Lager zu unterdrücken. »Wir haben heute drei unserer Kameraden verloren! Zwerge – starke Kämpfer, und natürlich…« Er räusperte sich, »…Dolder Batinte. Sie alle haben ihr Leben gegeben, um die Welt für uns alle sicherer zu machen. Das Mindeste, was wir jetzt tun können, ist, ihnen zu Ehren noch kräftiger auf die Monster einzudreschen!«
Die versammelte Mannschaft nickte langsam, aber nicht sehr überzeugt. Es war wie bei einem Regen, wenn die ersten leichten Tropfen fielen, als wisse das Wetter noch nicht, was es wollte. Ein paar der Kämpfer sahen zu Boden, andere rückten ihre Waffen zurecht. Iso konnte sehen, dass seine Worte nicht den gewünschten Funken in den Herzen seiner Leute entfachten. Dann hob Hugues, ein breitschultriger Krieger der Semu, langsam die Hand. Sein orangefarbener Turban leuchtete im schwindenden Tageslicht wie ein Lagerfeuer, und als er sprach, schwang eine fast beleidigende Gelassenheit in seiner Stimme mit.
»Äh, Iso?«, fragte Hugues. »Nicht, dass ich die Gefühle der anderen verletzen will, aber… Dolder konnte wirklich niemand leiden. Ich glaube, wenn wir ehrlich sind, sind wir alle recht froh, dass er uns nicht weiter auf den Geist geht.«
Iso blinzelte. Das war nicht der Moment, in dem er das gebraucht hatte. Sein Versuch, aus Dolder einen gefallenen Helden zu machen, drohte wie eine schlecht geplante Belagerung zusammenzubrechen. »Er ist tot, Mann!«, bellte er. »Du kannst doch nicht schlecht über einen Toten reden. Er ist ein Held! Ein Märtyrer! Er starb, um die Welt sicherer zu machen!«
Hugues schüttelte den Kopf, und sein Turban wackelte dabei bedenklich, als wäre er auf dem Sprung, eigenständig das Lager zu verlassen. »Iso, ehrlich, Dolder ging es nie um Sicherheit. Ihm ging es um Schätze. Ich wette, er wäre der Erste gewesen, der uns alle an die Milchknilche verfüttert hätte, wenn er dadurch auch nur einen rostigen Heller hätte verdienen können.«
Ein Raunen ging durch die Menge. Ein paar der Zwerge – die nicht die gestorbenen, sondern die lebendigen – nickten leise, und einer schien gerade etwas in ein kleines Notizbuch zu kritzeln. Vielleicht war das eine Art geheimer Zwergenabstimmung, aber Iso hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Er musste das Ruder schnell herumreißen.
»Es geht nicht darum, was er im Leben gemacht hat«, sagte Iso und versuchte, seine Stimme so entschieden wie möglich klingen zu lassen. »Es geht darum, dass er jetzt tot ist, und…«
»Ganz genau!«, rief jemand aus der hinteren Reihe. »Endlich tot!«
Iso kniff die Augen zusammen und spürte, wie der Boden unter seinen Füßen zunehmend wackeliger wurde – metaphorisch gesprochen, denn der Felsen, auf dem er stand, war in Wirklichkeit sehr stabil. Es war ein klassisches Problem in der Monsterjägerbranche: Es war einfach schwer, den Respekt seiner Leute aufrechtzuerhalten, wenn der, den man ehren sollte, ein unbeliebter Idiot gewesen war.
Dabei hatte er irgendwie nicht mitbekommen, in welchem Maße sich Dolder unbeliebt gemacht hatte. Natürlich wusste er davon, dass Dolder mal die Waffen seiner Kameraden verhökert hatte.
»Gut«, sagte er schließlich und versuchte, seine Frustration zu verbergen. »Vielleicht war Dolder nicht der einfachste Kamerad. Vielleicht hat er… gelegentlich… einen von euch zu den Monstern schubsen wollen. Aber Fakt ist: Er ist tot. Und was tut man für Tote?«
»Man stellt sicher, dass sie auch tot bleiben?«, schlug Glorda vor, eine Zwergin mit scharfem Verstand und noch schärferer Axt.
Iso seufzte. »Nein. Man ehrt sie. Mit einer monumentalen Jagd. Wir schlagen den Monstern noch fester auf den Kopf! Für die, die gefallen sind! Für die, die überlebt haben!«
Das brachte ein paar zustimmende Rufe. Nicht viele, aber genug, um Iso zu signalisieren, dass er zumindest die Aufmerksamkeit einiger weniger wiedergewonnen hatte.
»Wir brauchen einen neuen Plan«, warf Rhino ein, ein hochgewachsener, hagerer Kerl mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der immer so aussieht, als wisse er mehr, als er tatsächlich tat. »Wenn wir einfach wieder drauflosstürmen, enden wir wie Dolder.«
»Ja«, brummte Hugues. »Im Magen eines Milchknilchs.«
»Plan«, wiederholte Iso nachdenklich und kratzte sich am Kinn. »Ja, ein Plan klingt vernünftig.« Was natürlich bedeutete, dass er noch keinen Plan hatte, aber das musste niemand wissen. »Rhino, du bist unser Plan-Mann. Denk dir was aus.«
Rhino nickte und trat einen Schritt vor, um eine kleine Skizze in den Dreck vor Isos improvisiertem Rednerpult zu zeichnen. »Wir… locken die Milchknilche in den engen Pass dort drüben. Sie sind groß und dumm. Wir sind weniger und auch … weniger dumm. Sobald sie in der Falle sind, schlagen wir zu.« Er ließ seine geballte Faust auf die offene Hand schlagen.
»Nicht schlecht«, murmelte Iso und versuchte, zu klingen, als hätte er das schon die ganze Zeit gewusst. »Nicht schlecht. Genau das, was ich im Sinn hatte.«
Die Mannschaft scharrte sich um Rhino und seine Zeichnung. Iso trat beiseite und ließ das Gerede über Fallen und Schläge zu, während er in die Ferne starrte. Vielleicht war es nicht das heroische Gedenken, das er sich vorgestellt hatte, aber wenn man ehrlich war, Dolder hatte es vermutlich auch nicht anders verdient.
Der Kobold Borrax, klein, grün und mit weißen Büscheln, die aus seinen Ohren kamen, schlich sich in einen Hauseingang. Es war eigentlich keine Tür, eher eine klaffende schwarze Wunde, wie es so viele in diesem Dorf gab, das einst von den Monstern aus dem Wald überrannt worden war. Jetzt hatten die Monsterjäger hier ihr Lager. Doch Teile des alten Dorfes wurden noch genutzt.
»Mein lieber Borrax«, sagte eine Elfe, die an einem Tisch saß und wirkte, als habe sie auf ihn gewartet. Sie sollten verflucht sein, die verdammten Elfen, dachte Borrax. Sie sahen genauso auf ihn herab wie alle anderen.
»Liora, meine Liebste«, säuselte er. »Ich denke, ich habe etwas, womit wir ins Geschäft kommen.«
Er wusste, dass Liora zu einer Fraktion innerhalb Idriths gehörte, die sich der Suche nach dem Einen verschrieben hatte. Dieser sollte durch seine Magie die Welt befrieden und natürlich würden die Elfen eine Sonderposition einnehmen. Er brauchte gar nicht darüber nachzudenken, welche Position die Kobolde einnehmen würden. Sicher wären sie weiterhin ganz unten.
Rigga hatte abseits gestanden, als Iso seine kleine Ansprache hielt. Es war nicht das erste Mal, dass Monsterjäger starben, doch dieses Mal fühlte sie sich schuldig.
Doch sie konnte und wollte niemanden wirklich einweihen. Es war sicher ein Fehler, es Kazia erzählt zu haben. Doch sie hatte das Geheimnis einfach mit jemandem teilen müssen. Und Kazia hatte vielleicht recht. Wenn Iso davon erfuhr, würde er sicher alles versuchen, um Plimschi zu befreien und zu der Stadt der Stille zu gelangen.
Dabei würde es zu einem großen Kampf kommen, da war sie sich sicher. Einen Kampf, der viele weitere Tote verursachen würde. Sie schlich langsam weiter, drückte sich in eine der kleinen Gassen. Es war dunkel geworden und bald würde ein großes Feuer entzündet und die Heldentaten der toten Monsterjäger erzählt. Nun, für Dolder würde wohl keiner sprechen.
Sie ging weiter und empfand das Dunkel fast angenehm. Einen Moment später stieg sie über die Reste einer Backsteinmauer und fand sich in einer Schmiede wieder. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie kannte diese Schmiede.
Als sie hinter das Geheimnis der blutigen Tina, die einst die Monster hier getötet hatte und das Dorf rettete, blicken wollte, war sie in die Vergangenheit geschlüpft und hier in dieser Schmiede gewesen. Sie schluckte, als sie daran dachte. Sie strich mit einer Hand über die Mauer und schwarzer Ruß blieb an ihren Fingern kleben.
Hatte Tina von der Stadt der Stille gewusst? Was hätte sie getan, an Riggas Stelle?
»Erinnerungen«, sagte eine Stimme und ließ Rigga zusammenzucken.
Langsam drehte sich Rigga um. In dem wenigen Licht war Liora kaum zu erkennen. Ihre Augen allerdings leuchteten förmlich.
»Was machst du hier?«
Liora lachte. »Das könnte ich dich auch fragen, nicht wahr?«
Rigga schüttelte den Kopf. »Ich habe mich wohl verlaufen.« Sie hoffte, dass es überzeugend klang.
»Das glaube ich dir nicht.« Liora kam näher. Ihr Kleid raschelte bei jedem Schritt. »Du hast eine Verbindung zu diesem Ort. Das kann ich spüren.«
Irgendwie hatte Rigga das Gefühl, dass Liora auf sie gewartet hatte. Doch warum? Der Anhänger um Lioras Hals - eine stilisierte Teufelsbiene - schien leicht zu glimmen.
»Es ist mir egal!«, sagte Rigga. »Wenn du etwas spüren kannst, dann hoffentlich, dass ich alleine sein möchte.« Sie spürte ihren Zorn aufwallen. »Ihr dämlichen Elfen seid euch zu fein dafür, die Monster zu bekämpfen. Aber hier, in einer alten Schmiede dummes Zeug zu reden, dafür gebt ihr euch her.«
Liora hob eine Hand. »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Du hast mich nicht beleidigt, nur gestört.« Jetzt ging sie auf Liora zu. »Es ist unhöflich und dann kommst du auch noch mit so einem mystischen Geschwafel.«
Liora wirkte irritiert. »Ich…«, begann sie.
»Du schiebst am besten deinen Elfenhintern hier raus.«
»Rigga!«, sagte Liora jetzt ernst. »Ich glaube, du weißt nicht, wer ich bin.«
»Du bist eine verstoßene Elfe aus dem Wald von Idrith, die Nektar sammelt, um dieses komische Schattenblut herzustellen. Zeug, das vielen schadet und süchtig macht.«
»Du!«, stieß Liora hervor. »Du kleines pickeliges Orakelchen! Ich weiß mehr über dich und über deinen Vater als sonst jemand. Ich weiß auch, dass du eine Verbindung zu Tina hast und glaub bloß nicht, dass dein kleines Geheimnis mir verborgen geblieben ist.«
Rigga stutzte. »Geheimnis?«
»Du bist mit dieser trotteligen Riesin in den Wald gegangen und hast herausgefunden, was im Zentrum des Waldes ist. Jetzt weißt du nicht, ob du es jemandem erzählen solltest. Stimmts?«
Rigga merkte, wie ihr Zorn von einer eisigen Welle hinweg gespült wurde. »Woher?«
Liora winkte ab. »Das ist unwichtig. Aber ich rate dir, den kommenden Kampf nicht zu unterschätzen.«
»Welchen Kampf?«
»Den gegen die Monster im Wald und das Flüstervolk. Sobald der König davon erfährt, wird er alles daran setzen, nach Vacryppo zu gelangen und dieses dunkle Herz des Waldes zu zerstören.«
»Du sagst es ihm?«
Liora lachte. »Nein, nicht ich, sondern du wirst das tun. Schon jetzt leidest du unter der Last dieses Geheimnisses.«
Sie hatte natürlich recht, auch wenn Rigga es nicht gerne zugab.
»Du bist nicht verantwortlich, Rigga!«, sagte Liora eindringlich. »Aber auch wenn du glaubst, das Schattenblut sei nur eine einfache Droge, dann irrst du dich. Es kann die Magie steigern und ich glaube, du wirst sehr viel Magie brauchen, wenn ihr es bis nach Vacryppo schaffen wollt.«
»Ich?«
»Du bist so sehr von einer starken Magie durchdrungen, dass es auf dich ankommen wird. Du bist etwas Besonderes.«
»Ich dachte, ich sei nur ein verpickeltes Orakelchen?«
»Das bist du trotzdem.« Liora reichte Rigga eine Phiole. »Das ist ein Geschenk. Vielleicht wirst du es brauchen.« Rigga schaute auf die Phiole, deren Inhalt selbst in dem wenigen Licht noch dunkler wirkte, als alle Schatten. Sie nickte. »Danke.«
Liora war aber schon verschwunden.
Es war kalt in der alten Schmiede und Rigga merkte, dass sie zitterte.
Das große Feuer brannte bereits und Rigga hörte, wie der Zwerg Herbrumm die beiden toten Zwerge lobte, bei ihren Heldentaten aufschnitt und zwischendurch für ein paar Lacher sorgte. Die Stimmung war so ausgelassen, dass es Rigga fast schmerzte.
Iso trat in die Mitte - nicht zu nahe ans Feuer - und nickte Herbrumm zu. »Das war sehr schön. Jetzt brauchen wir nur noch einen guten Aufschneider, der Dolders Heldentaten vorträgt.« Er sah sich um. Einige lachten hämisch und dann schob sich eine Gestalt durch den Kreis.
Sofort verstummten alle und auch Iso schien überrascht. Dann fasste er sich und klatschte in die Hände. »Wer könnte das besser, als seine Team-Führerin.« Er deutete eine Verbeugung an, was bei einem Zwerg eher seltsam wirkte. Rigga suchte sich einen Platz neben Kazia. Ihre Freundin sah sie kurz fragend an, aber sagte nichts. Sie wandte sich auch der Frau zu, um die sich im Monsterlager viele Legenden rankten.
Shantilia vom Clan der Schattenwölfe war eine hochgewachsene Frau mit ebenso dunklen Haaren wie Augen. Sie trug ein derbes blaues Stoffkleid und über der Schulter hing ein Fell, das darauf hindeutete, dass sie aus Isabrot stammte. Allerdings war dieses Fell von einem Parscher - einem der gefährlichsten Monster im Monster-Wald. Parscher traf man nur, wenn man weit genug in den Wald vordrang. Ein solches Monster zu besiegen, war schwer und es gab nur wenige - wenn man den Geschichten glauben wollte - die mit einem Parscher gekämpft und es überlebt hatten. Shantilia gehörte dazu. Das blauschwarze Fell lag wie ein Umhang um ihre Schultern, und der obere Teil des Parscherkopfes lag auf ihrem Kopf wie eine Kapuze. Eine Kapuze mit grellweißen Zähnen. Rigga war augenblicklich beeindruckt.
»Wieso ist sie hier?«, flüsterte Kazia.
Das war eine gute Frage. Bisher blieb Shantilia allen Versammlungen fern und in ihrem Team waren viele Kämpfer, die als zu eigensinnig galten. Dennoch hatten sie gute Erfolge zu verbuchen.
»Ich bin Shantilia und werde euch etwas über Dolder Batinte erzählen.« Die Stimme Shantilias war dunkel, angenehm und trotzdem schien ein drohender Unterton mitzuschwingen. Niemand lachte.
»Dolder war ein eigenartiger Kerl«, sie sah sich um. »Jeder der ihm misstraute, hatte guten Grund dazu. Dolder war ehrgeizig und ein guter Kämpfer. Er war einer der wenigen, die mit mir in die Tiefe des Waldes vorgerückt sind. Als der Parscher uns angriff, zeigte er weder Angst noch Schwäche.«
Alle schienen die Worte aufzusaugen. »In diesem Wald liegt ein Geheimnis, das er erforschen wollte. Wäre der Wald ein Tier, hätte Dolder versucht, ihm das Herz herauszureißen.« Ihre Augen wanderten umher und blieben dann auf Rigga gerichtet. »Dieses Herz müssen wir finden!«
Rigga kribbelte es förmlich über den Rücken, als würde sich eine Armee von Ameisen verteilen. Sie brachte ein zaghaftes Lächeln hervor und nickte leicht. Wusste Shantilia Bescheid?
»Dolder war aber auch ein arroganter Sack!«, rief Shantilia jetzt. »Trotzdem gebührt es ihm, dass wir uns seiner wenigen Heldentaten erinnern.« Sie zog eine Kette hervor, an der ein Zahn - ein Parscher-Zahn - baumelte. »Das war sein größter Besitz. Und wisst ihr, wer den bekommen sollte?«
Ein Raunen war zu hören, Köpfe wurden geschüttelt.
»Mir?« Herbrumm lachte laut.
Shantilia schüttelte den Kopf. »Sie soll der Frau zukommen, die dem Wald das Herz herausreißen wird.« Wieder sah sie Rigga an und einen Moment später segelte die Kette auf sie zu.
Rigga sprang auf und fing sie etwas ungeschickt, sie fiel über Kazia und lag einen Moment später auf dem Boden. Doch sie hatte die Kette in einer Hand.
Dann spürte sie das vertraute Ziehen. Die Kette - oder der Zahn - war voller Magie und Rigga wurde in eine neue Vision gezogen.
Sie flog durch den Wald, wich den Milchknilchen aus, die nach ihr griffen, streifte einen Parscher und befand sich plötzlich auf einer Lichtung. Dort sah sie ein Mädchen in einem blauen Kleid - wie das von Shantilia - das traurig wirkte. Dann erkannte Rigga, dass dem Mädchen das Herz fehlte. Das Mädchen ohne Herz winkte ihr zu.
- Es kommt ein Held in blauer Farbe und es wird ein Mädchen ohne Herz sein.
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Als Rigga die Augen aufschlug, lag sie in Iso Latotos Zelt und sie war nicht allein. Neben Iso, der sie finster ansah, waren auch Shantilia und Kazia anwesend.
»Du warst im Wald?« Isos Stimme war so kalt, dass man davon Eiszapfen abbrechen könnte.
Rigga setzte sich auf. »Ja. Aber ich wollte nur Puschel helfen.«
»Du musst uns sagen, was du weißt.« Shantilia wirkte freundlicher. »Davon wird es abhängen, ob du diesem verdammten Wald das Herz herausreißen kannst. Du wirst Hilfe brauchen.«
Rigga suchte Kazias Blick. Ihre Freundin nickte und damit war es entschieden. Rigga seufzte und erzählte mit stockender Stimme, wieso sie der Riesin helfen wollte und was ihr das Wollhorn Verdo erzählt hatte. Alle hörten schweigend zu, während Isos Miene sich zunehmend verfinsterte.
Als Rigga fertig war, wandte er sich ab. Doch Shantilia lächelte warm. »Danke. Dolder hatte sich nicht in dir getäuscht.«
Rigga wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte.
Doch sie war sicher, dass sich nun einiges ändern würde.