Klingen-Jojo

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Der Regen schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Rigga Kalkwinter stand am Fenster des Orakel-Raums und schaute hinaus. Zum einem, um den allgegenwärtigen Rauchschwaden zu entkommen, die immer im Orakel-Raum herumwaberten, und um mal etwas anderes zu sehen. 

Die Schreie eines Mannes klangen herüber, der zwei Räume weiter gefoltert wurde. Es hatte sie zu Anfang schon ziemlich verstört, dass der Raum für die Orakel neben dem Folterkeller lag. 

Das Fenster - sofern man es so nennen konnte, war ein kleiner rechteckiger Ausschnitt unterhalb der Decke und er war vergittert. Leider hielten die Gitter das Wasser nicht auf, das wie ein Schleier die Wand herunterlief. 

»Ist dir langweilig?« Das Orakel von Antia, Volvo Tamowitz, saß wie immer hinter ihrer großen Glaskugel. Darin waberte ein Nebel, den nur die scharfen Augen des Orakels durchdringen konnten. Am Tisch daneben stand Riggas Glaskugel, die im Vergleich recht mickrig wirkte und der Nebel darin hatte einen goldgelben Schein. Allerdings erst, seitdem sie ihr in den Nachttopf gefallen war. 

»Ein bisschen«, gab Rigga zu. Sie drehte sich um und ging zu ihrem Stuhl. Dabei wich sie geschickt den Pfützen aus, die sich im Raum gebildet hatten. Trotzdem waren ihre einfachen Stoffschuhe schon durchweicht. 

Volvo saß mit festen Stiefeln an ihrem Platz. Sie hatte das Wetter und wohl auch die Auswirkungen orakelt und war entsprechend vorbereitet. Es ärgerte Rigga, dass Volvo ihr nichts von diesem Unwetter erzählt hatte. 

Es klopfte an der Tür. Ein ziemlich vorsichtiges Klopfen. Rigga hatte sich gerade gesetzt und verdrehte die Augen. Doch sie ging zur Tür und war überrascht, dass der Schmied Nikolas Eisenhuf davor stand. Er lächelte verlegen, was in seinem roten Gesicht seltsam wirkte.

»Ähm«, sagte er. »Ich wollte fragen, ob ihr mir helfen könnt.«

»Das ist unsere Spezialität, Nikolas«, rief Volvo und Rigga ließ den Mann ein. Er hatte seinen dichten Bart gegen einen Schnäuzer getauscht, der orangerot unter seiner Nase hing. Auf seinem linken Arm war ein Tattoo zu sehen, doch Rigga konnte es nicht richtig erkennen. 

Nikolas Eisenhuf war ein Mann von einigem Umfang und trotzdem waren seine Arme muskulös. Er setzte sich vorsichtig auf den Stuhl vor dem Tisch und Rigga eilte zu ihrem Platz, wobei sie vergaß einer Pfütze auszuweichen. Ihr Schuh flutschte von ihrem Fuß und sie fischte ihn, auf einem Bein balancierend, wieder heraus.  

»So, lieber Nikolas, wie können wir dir denn helfen?«

Volvo Tamowitz war außergewöhnlich nett zum Schmied. Rigga setzte sich und legte den nassen Schuh neben ihre kleine Glaskugel. 

»Ich…« Er schielte zu Riggas Glaskugel herüber. »Ist die kaputt?«

Rigga verzog das Gesicht. »Ich hoffe nicht.«

»Also?«, sagte Volvo nun etwas fordernder. 

»Ja, also es geht um…«, er seufzte kurz, als müsse er sich überwinden weiterzureden.

»Es geht um die Geschichte der blutigen Tina. Kennt ihr sie?« 

Was konnte es Besseres geben, während der Regen unvermindert in den Raum lief, als einen Schmied, der einem eine Geschichte erzählen wollte. Rigga versuchte interessiert zu gucken.

»Nein«, sagte Volvo. »Es gibt so viele Geschichten.«

»Ja, aber diese ist…« Er sah zu Rigga. »Blutig.« 

Rigga lächelte ihn an. »Ich bin nicht so empfindlich. Immerhin habe ich schon einiges hinter mir.« Sie hob einen Finger, um abzuzählen. »Ich wurde entführt, bin in einer anderen Dimension gewesen, habe Feuer gespien und mit einem Seeungeheuer gespielt.« Sie überlegte. »Was noch? Ach ja, ich habe mit dem Magikus Fingerschnipp gekämpft, nachdem ich zuvor schwindelig getanzt wurde.« Sie lächelte ihn jetzt etwas breiter an. »Etwas Blut macht mir nichts.«

Er starrte sie einen Moment lang an, dann nickte er. »Ich weiß, dass du eine mutige junge Dame bist.« Dann sah er zu Volvo. »Das scheint bei euch Orakeln wohl öfter der Fall zu sein.«

Rigga sah zu Volvo und diese lächelte unergründlich. Was wusste sie nicht über Volvo? Sie hatte sich nie viele Gedanken darüber gemacht, aber sie wusste, dass Volvo in ihren jungen Jahren mit Annwn, der jetzigen Königin von Nebelheim, und Adalia, Oberste Schamanin von Isabrot, befreundet gewesen war. 

»Also?« Volvo sah Nikolas an. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, mein Lieber.«

Genau, dachte Rigga, wir sind damit beschäftigt dem Regenwasser zuzusehen, das einfach nicht weniger wurde. 

»Gut, also dann...«

Er holte tief Luft. 

»Es war die schlimmste Zeit und die gefährlichste Zeit, es war die Zeit großer Kämpfe und genialer Erfindungen.« Er schien es zu genießen. »In einem kleinen Ort namens Zenik, nahe dem Wald der Monster, lebte ein Mädchen Namens Tina.«

»Was für eine Überraschung«, sagte Rigga leise. 

»Tina war ein junges Mädchen, wild und verwegen. Sie hatte einen klugen Kopf und sie verband eine tiefe Freundschaft mit dem Schmied ihres Dorfes. Marsik Donnerschlag. Er schmiedete die besten Waffen und erfand auch immer wieder neue, damit die Monster der Dunklen Mächte vom Dorf ferngehalten werden konnten. Er war ein Genie.«

Irgendwie erwartete Rigga, dass Nikolas mit ihm verwandt war.

Nikolas lächelte. »Er war einer meiner Vorfahren. Aber er hat sein Talent weitervererbt.«
Rigga fragte sich, ob dieses Schmiede-Genie auch so krumme Schwerter geschmiedet hätte, wie Nikolas es tat.

»Wie können wir dir denn dabei helfen?« Volvo schüttelte den Kopf.

»Hört doch erstmal weiter. In einer Nacht überfielen die Monster das Dorf und alles schien verloren. Doch Marsik hatte eine spezielle Waffe für Tina gebaut. Damit besiegte sie alle Monster und sie hatte ihren Namen weg.«

»Die Waffe?« Volvo lachte. »Du willst wissen, was das für eine Waffe war, stimmts?«

Nikolas nickte. »Ich würde so gerne mehr über diese geheimnisvolle Waffe wissen. Vielleicht sogar, wo sie abgeblieben ist.«

»Das wir Orakel uns in der Zukunft bewegen, weißt du aber?«

»Ja. Aber es schadet ja nicht, euch mal zu fragen.«

»Rigga, was meinst du?«

Rigga war froh, dass sie nicht eingeschlafen ist. »Vergangenheit geht gar nicht.«

»Das ist nicht ganz wahr«, tadelte Volvo sie. »Mit einem Gegenstand kann man eine Personifizierung durchführen. Das steht in Difiale Gabeldorns Buch, ›Die geliehene Zeit der Steine‹. Ich hoffe du hast es durchgelesen.«

Rigga hatte es ansatzweise überflogen. Das Buch war eher wie eine kitschige Geschichte geschrieben. Nichts, was Rigga besonders interessieren konnte. 

»Klar. Man braucht einen Gegenstand aus der Zeit. Dieser Gegenstand muss aber magische Eigenschaften haben, was so schon recht selten ist.«

Nikolas nickte und kramte etwas aus seiner Lederweste. Dann hielt er mit zwei Fingern einen Ring hoch. Dieser verschwand fast zwischen seinen Fingern. 

»Der Ring gehörte Tina! Sie hat ihn nach ihrem Kampf bekommen und soll ihn nie wieder abgelegt haben.«

»Gib ihn Rigga, damit sie prüfen kann, ob er magisch ist.«
Nikolas hielt Rigga den Ring hin, sie nahm ihn, doch er flutschte ihr aus den Fingern, rollte über den Tisch und landete platschend in der Pfütze. 


Rigga saß im oberen Raum der Schmiede im Schneidersitz. Um sich herum hatte Nikolas alles an Kerzen aufgestellt, was er auftreiben konnte, und so war eine ganz besondere Aura geschaffen worden, die schon etwas Mystisches hatte.

Gut, man musste von dem ganzen Gerümpel absehen, dass sich an den Wänden türmte: Jede Menge verschiedener Waffen und seltsamer Skulpturen, die durch das flackernde Licht bedrohliche Schatten an die Wände warfen. Nikolas stand an der Tür und sah sie erwartungsvoll an. »Du kannst das!«, sagte er mit Überzeugung. 

Rigga war sich nicht ganz klar, ob sie es wirklich konnte. Volvo hielt es für eine ausgezeichnete Übung ihrer magischen Fähigkeiten und es war Rigga im Moment auch lieber als in dem nassen Orakel-Raum zu sitzen. 

Der Ring lag vor ihr auf einem weißen Taschentuch. Sie versuchte ihren Geist vorzubereiten und dann nahm sie den Ring zwischen zwei Finger, hielt ihn hoch und versuchte sich mit der darin wohnenden Magie zu verbinden. 

Es war ganz einfach und fühlte sich an, als flutsche ihr Geist einfach woanders hin. Von einem Augenblick zum nächsten stand sie in einer zugigen Schmiede. Vor ihr ragte ein muskulöser Mann auf, der einen orangefarbenen Schnurrbart trug, der Rigga an jemanden erinnerte. 

Doch Rigga war nur Beobachterin und musste alles so hinnehmen, wie es war. Die Vergangenheit stand fest. Und wenn alles stimmte, dann war sie nun im Kopf der blutigen Tina, die nichts davon ahnte. Nun ja, sie war ja auch schon lange tot. 

Der Schmied hatte eine zerkratze Lederschürze und war ähnlich dick, wie Nikolas. Doch die blauen Augen, die unter struppigen Augenbrauen hervorlugten, spiegelten Zuneigung. Zuneigung zu Tina?

»Hast du es fertig?«, frage Tina.

»Ja«, gab der Schmied brummig zurück. »Aber du musst vorsichtig damit umgehen. Du kannst dich damit verteidigen, wenn es sein muss.« Dann holte er einen Gegenstand hervor und reichte ihn Tina. »Darin steckt die Seele einer Heldin.«

Rigga erkannte sofort, was es war. Ein Jojo. Doch kein gewöhnlicher, sondern sechs scharfe Klingen standen an den Seiten hervor. Er war blutrot und glänzte wie poliert. 

Tina nahm den Klingen-Jojo vorsichtig in die Hände. »Danke.«

Dann erschollen laute Rufe. Es war unverkennbar, dass es ein Überfall der Monster war. Tina schaute den Schmied an, der den Kopf schüttelte. »Du solltest dich verstecken.« 

Doch auch Tina schüttelte den Kopf. »Ich verstecke mich nicht.« Sie drehte sich um und rannte zur Tür. Als sie dort angekommen war, flog diese auf, erwischte Tina frontal und schleuderte sie gegen die Wand. Sie sah Sterne, während sie langsam an der Wand herunterrutschte. Sie spürte, wie ihr jemand den Jojo aus den Händen nahm und sank dann in eine tiefe Bewusstlosigkeit.

Rigga war davon anscheinend ebenso betroffen, denn das Nächste was sie sah, waren Tinas Füße. Sie lag noch immer am Boden und rappelte sich mühsam auf. Blut lief ihr aus der Nase und über die Stirn. Sie wankte aus der Schmiede und sah die Leute fröhlich umherlaufen. Dann entdeckte sie einer. Wargat, der Bäcker und er blieb stehen, starrte Tina nur an. Jetzt kamen alle, um zu sehen, was so besonders war. Tina sah in viele offene Münder. Was hatte das zu bedeuten? Erst jetzt bemerkte sie, dass der Klingen-Jojo von ihrer Hand baumelte. Sie schüttelte den Kopf. Doch als sei das ein Zeichen gewesen, stürmten alle auf sie zu, hoben sie auf ihre Schultern, trugen sie durchs Dorf. Sie feierten sie als ihre Retterin, als die blutige Tina. 

Tina hatte ebenso wenig eine Erinnerung was passiert war, wie Rigga. Sie glaubte, dass jemand anderes die Monster mit dem Klingen-Jojo getötet hatte, als sie bewusstlos hinter der Tür lag. Doch wer war es gewesen? Diese Frage würde Tina noch sehr lange beschäftigen.

Man feierte sie für etwas, was sie vielleicht gar nicht getan hatte. Doch was wäre passiert, wenn sie die blöde Tür nicht vor die Rübe geknallt bekommen hätte? 

Rigga grinste und hoffte, dass es sich nicht auf ihrem Gesicht in der Schmiede widerspiegelte. Anscheinend war Tina ähnlich tollpatschig wie Rigga. 

Dann durchlebte sie in Abständen immer wieder Szenen aus Tinas Leben, bis zu ihrem Tod. Sie starb in dieser Burg, in einem Zimmer, das Rigga nur zu gut kannte. 

Mit einem tiefen Ausatmen kam sie zurück in ihren Körper. Sie hielt noch immer den Ring vor sich und blinzelte.

»Wann fängst du an?« Nikolas stand an der Tür, als sei keine Zeit vergangen. 

»Ich war da«, sagte sie leise. Nikolas Augen leuchteten auf. »Und?«

»Ich kann dir leider nicht helfen. Es war alles nur undeutlich gewesen«, log sie.

Er ließ die Schultern hängen, aber lächelte trotzdem. »Danke, dass du es versucht hast.«



Es war Abend geworden und der Regen hatte nachgelassen. Nikolas hatte sie bis zur Burg gebracht, wo Manu einsam und durchnässt wie ein Hund Wache hielt. Er nickte ihr nur zu und Wasser tropfte von seinem Helm. 

Rigga hatte es nun eilig. Die blutige Tina hatte so viel mehr mit ihr gemeinsam, dass es schon fast unheimlich war. Sie wünschte ihrem Vater, der über einigen Papieren saß, eine gute Nacht und verschwand in ihrer Kammer. 

Sie sah sich um. Den schweren Schrank hatte es damals noch nicht gegeben, aber es war eindeutig das Zimmer in dem Tina eine ganze Zeit gelebt hatte. Rigga nickte. Tina hatte ihren Klingen-Jojo versteckt und Rigga wusste jetzt auch genau wo. Sie sah den Schrank traurig an. Dann öffnete sie ihn, warf die Sachen hinaus und machte sich an der Rückwand zu schaffen. Sie brach das Holz der Rückwand heraus und hatte dann einen Teil der nackten Mauer vor sich.

Nun musste sie nur noch… 

»Rigga?« Ihr Vater stand in der Tür. »Was soll das?«

Rigga krabbelte aus dem Schrank. »Ich wollte etwas probieren. Das hat mit meiner Ausbildung zu tun.«

»Im Schrank?«

Rigga verzog das Gesicht. »Ja, leider.«

»Warum musstest du unbedingt ein Orakel werden?«, murmelte ihr Vater kopfschüttelnd und ging wieder. 

Rigga kletterte zurück in den Schrank, klopfte gegen die Steine und fand schließlich, was sie suchte. Mit etwas Mühe ließ sich ein Stein lockern und herausziehen. Sie schluckte. Dann griff sie in die dunkle Öffnung und… schnitt sich.

»Verdammt!«, rief sie. Beim zweiten Versuch zog sie die in Tuch gewickelte Waffe hervor. Sie trug sie zu dem kleinen Tisch und legte sie darauf. 

»Das ist also diese sagenhafte Waffe«, flüsterte sie leise. Sie wickelte sie aus und der Klingen-Jojo sah wie neu aus. Bis auf das Blut an einer Klinge, das von Rigga stammte. 

Sie berührte ihn mit einem Finger und sofort schoss die Magie durch sie - diesmal jedoch in die Zukunft.

Durch ein Meer von Blutstropfen sah sie eine rote Heldin mit einer ungewöhnlichen Waffe. 


  • Es kommt eine rote Heldin mit einer ungewöhnlichen Waffe.
  • Ein weiteres Mal kommt das endlose Pein-Event (Endless Trial)
  • Der Turm der Illusionen nimmt einem die Illusion
  • Eine neue exklusive furchterregende 5-Sterne-Waffe
  • Neue Artefakte für die Wale
  • Angebote, die keine sind.
    evtl.
  • Das Schach-Event - was nicht so viel mit Schach zu tun hat
  • Waffenerweckungen

Rigga schüttelte sich. Was sollte sie mit der Waffe machen? Sie Nikolas überreichen? Der würde versuchen sie nachzubauen. Alleine der Gedanke, diese Waffe zurück in die Welt gebracht zu haben, bereitete ihr Magenschmerzen. 

Schließlich wickelte sie den Klingen-Jojo wieder ein und legte ihn zurück in das Versteck. Ihre Sachen warf sie einfach zurück in den Schrank, und legte sich ins Bett, nuckelte an ihrem blutigen Finger und lächelte. 

Tina hätte sicher gewollt, dass ihr Geheimnis gewahrt blieb. 

Das Geheimnis der blutigen Tina.