Wunder der Mechanik
by Neotomaxpublished onFingerschnipp
Rigga Kalkwinter, Orakel in Ausbildung, klopfte drei Mal kräftig gegen die dicke Holztür zu den Folterkammern. Sie verstand nicht, wieso der König das Orakel hier unten untergebracht hatte. Es könnte etwas mit dem Rauch zu tun haben, der ständig im Raum des Orakels herumwabert und auch damit, dass viele ein mulmiges Gefühl haben, wenn sie das Orakel sehen.
Der Sehschlitz in der dicken Holztür wurde aufgeschoben und ein ungewöhnliches Augenpaar blickte sie an. Das linke Auge war schlitzförmig, das rechte rund wie ein Taler - aber beide hatten eine grüne Pupille. Sie hörte Abraxo leise lachen.
»Was willst du?«, fragte der Kobold, der dem Foltermeister zur Hand ging. »Wir haben hier unten schon genug Leute, die wir quälen müssen.«
»Lass den Quatsch, Abraxo!« Irgendwie war Rigga nicht zu Scherzen aufgelegt. »Ich arbeite hier unten, das weißt du.«
»Oh, du bist es!« Der Sehschlitz wurde zugeschoben und die Tür öffnete sich. Abraxo grinste sie an. Er ging ihr nur bis zu den Schultern und hatte sonst eher Ähnlichkeit mit einem Leguan auf zwei Beinen. Gut, er hatte oranges Haar und ein fast menschliches Gesicht. Doch irgendwie wirkte er fremdartig.
Rigga ging an ihm vorbei, als ein kräftiger Mann ihr in den Weg trat. Eine speckige Lederschürze spannte sich um seinen enormen Bauch und darüber prangte ein narbiges Gesicht voller Haarstoppeln. Foltermeister Schartig hatte sie bisher nur einmal zu Gesicht bekommen. Es hieß, dass seine Haare nicht mehr wuchsen, seitdem er eine Hexe aus dem Roten Wald gefoltert hatte, die man beschuldigte Kinder zu fressen. Es stellte sich heraus, dass die Knochenreste in ihrem Ofen von einem Lamm stammten. Die Kinder blieben verschwunden.»Was machst du hier?« Schartigs Stimme war krächzend. »Reicht es nicht, dass wir in der Nähe des Orakels arbeiten? Musst du kleine Eiterbeule auch hier herumlungern?«
»Sie arbeitet doch hier«, sagte Abraxo. »Sie ist das kleine Orakel.« Er schüttelte den Kopf und seine gespaltene Zunge fuhr über seine Lippen. »Jeder kennt sie doch.«
Irgendwie hatte Rigga sich keine Hilfe von dem Kobold erhofft und war darüber verwundert. Abraxo scherzte gerne mit ihr, doch ihre Begegnungen waren immer kurz gewesen. Sie sah Schartig mit festem Blick an.
»Da wir heute sehr viel zu tun haben, hoffe ich, dass wir nicht dauernd durch Schreie unterbrochen werden. Das ist sehr störend.« Sie stemmte die Hände in die Hüfte. »Wenn sie jedoch eine Wahrsagung möchten, steht unsere Tür immer offen.« Das war gelogen, die Tür musste stets geschlossen bleiben, da der Rauch sonst den ganzen Folterkeller durchziehen würde. Es könnte die Folterqualitäten einschränken.
»Frech«, sagte Schartig und winkte Abraxo zur Seite. »Halt dich von ihr besser fern. Sie ist kein guter Umgang.« Dann drehte er sich um und Rigga blieb mit dem verstörenden Gedanken zurück, dass sie kein guter Umgang war - für Folterer…
»Endlich«, sagte Volvo Tamowitz, das Orakel von Antia. »Ich habe auf dich gewartet.«
Wie immer saß sie von Rauch umgeben an ihrem Tisch und die große Kristallkugel stand vor ihr. Doch auch darin war nichts als Rauch zu sehen. Bisher hatte Rigga die große Kugel noch nicht berühren dürfen. Sie sollte erst mit der kleinen Kugel, die ihr das Orakel gegeben hatte, zurechtkommen. Das schob sie allerdings immer wieder auf.
Seitdem ihr die Kugel in den vollen Nachttopf gefallen war, sah sie nur noch gelben Nebel darin und sie wollte sie gar nicht mehr berühren. Doch das hatte sie Volvo bisher nicht gesagt.
»Schartig hatte mich aufgehalten«, sagte Rigga. »Er hält mich für einen schlechten Umgang. Ist das zu glauben?«
Volvo lachte leise und nickte. »Er ist sehr abergläubig und seitdem seine Frau ihn für einen Zauberer verlassen hat, traut er niemanden mehr, der sich der Magie bedient. Dass er seine Frau vernachlässigt hat, verdrängt er dabei ebenso, wie seine unzähligen Seitensprünge.«
Rigga konnte sich nicht vorstellen, dass dieser hässliche Kerl viel Erfolg bei Frauen hatte. Doch vielleicht hatte er ja ein paar verborgenen Talente. Sie schüttelte den Kopf leicht. »Sie haben auf mich gewartet?«
»Richtig«, Volvo Tamowitz nickte wieder. »Es geht um eine recht dringende Angelegenheit.« Sie wies auf den kleinen Hocker vor ihrem Tisch, auf dem normalerweise diejenigen Platz nahmen, die eine Wahrsagung wollten und bezahlen konnten.
»Rotstreifental«, sagte Volvo noch bevor Riggas Hintern den Hocker berührt hatte. »Die verdammten Zwerge haben wieder herumgebuddelt - naja, sie machen ja kaum etwas anderes - und sind dabei auf seltsame Kristalle gestoßen.«
Rigga saß nun. »Kristalle? Was ist daran denn besonders? Deswegen buddeln sie doch die ganzen Tunnel in die Rotstreifenberge.«
»Sie haben nun welche gefunden, die eventuell magisch sein könnten.« Volvo beugte sich vor und das milchig weiße Licht aus der Wahrsagekugel beleuchtete ihr Gesicht, gab diesem etwas Unheimliches. Allerdings sah man nun auch unheimlich viele Falten. Doch das behielt Rigga besser für sich.
»Magische Kristalle? Die Zwerge müssten doch Luftsprünge machen, wenn sie so etwas Wertvolles finden.«
»Diese kleinen Buddelköpfe haben aber Angst. Magie ist bei ihnen nicht sehr geschätzt und daher können sie weder herausfinden, ob es Magie ist, die in den Kristallen schlummert, noch um welche Magieart es sich handelt.« Volvo sah sie ernst an. »Du hast doch Schlumbergers magische Einordungen und deren Bestimmung nach Lophenia I gelesen, oder?«
Wenn Rigga etwas an ihrer Ausbildung als Orakel mochte, dann waren es die unglaublich langweiligen Bücher, die sie lesen musste. Nichts ließ sie schneller einschlafen. Doch sie erinnerte sich an die verschiedenen Einstufungen. Es gab im Grunde nur zwei. Entweder es tötet - dann war es dunkle Magie, oder man überlebt - und es ist helle Magie. Es hatte sie etwas verwirrt, dass, auch wenn einem am ganzen Körper Stachel wuchsen und man danach wie ein lebender Kaktus aussah, es dennoch helle Magie war. Man lebte - wenn auch als Kaktus.»Schlumberger habe ich gelesen.« Rigga nickte lächelnd.
»Gut. Du wirst also zu den verdammten Zwergen reisen und herausfinden, was für eine Magie sich darin befindet, oder ob sie einfach nur zu viel von ihrem Flechtenbier getrunken haben.« Volvo verzog angewidert das Gesicht. »Außerdem solltest du keine Prophezeiung herausposaunen. Es würde den Zwergen sicher gefallen, dass ihnen eine solche Ehre widerfährt. Sie sind so schon sturköpfig genug.« Sie seufzte und ließ sich wieder nach hinten sinken. »Du wirst auch nicht alleine reisen.«
»Kommt Garo mit?« Rigga hoffte, dass sich eine Gelegenheit bieten würden, das Garo, ihr bester Freund in der Burg und auf der Welt, sie wieder mochte. Beim Fest der tausend Feuer war sie gemein zu ihm gewesen. Dafür könnte sie sich noch immer in den Hintern treten. Seitdem ging er ihr aus dem Weg. Dafür könnte sie ihn in den Hintern treten. So gemein war sie nun auch wieder nicht gewesen.
»Nein, der nervige Bursche kommt nicht mit.« Volvo lächelte, doch Riggas Laune sank. Ohne Garo würde sie sich in der Fremde sicher einsam fühlen. Aber sie musste es akzeptieren. Bestimmt würde sich noch eine Gelegenheit ergeben, die Dinge mit ihm zu klären.
»Also, wer dann? Meister Moronk? Oder etwa Ginrig, das knausrige Scheusal?«
»Fingerschnipp«, sagte Volvo. »Du kennst ihn doch, oder?«
Rigga schüttelte den Kopf. Dennoch erzählte man sich einiges über den Magikus Jeremias Fingerschnipp. Er war einst ein Anhänger der Dunklen Mächte gewesen und hat dann die Seiten gewechselt. Doch man sah ihn praktisch nie, da er in seinem Laboratorium blieb, und niemand hatte Zutritt. Außer dem König, natürlich.
»Nein«, sagte Rigga fast verzweifelt.
»Doch«, antwortete Volvo.
»Oh!« Rigga wusste nicht, wie sie sich weigern könnte. Immerhin war es sicher der Wunsch des Königs und den hatte man zu respektieren. Auch wenn es ein dämlicher Wunsch war. Wer kam denn auf den Gedanken ein junges Mädchen mit einem verschlagenen alten Magikus zusammen auf die Reise zu schicken? Wahrscheinlich hatte der König wieder zu viel vom Wein getrunken. Sie seufzte.
»Fingerschnipp ist ein exzellenter Kenner der Magie. Der König vertraut ihm und dann sollten wir es auch. Obwohl ich zugeben muss, dass er etwas unheimlich ist.«
»Kann ich ihm trauen?«
»Ich traue ihm nicht. Aber dir bleibt nichts anderes übrig. Ich wünsche dir viel Spaß auf deiner Reise.«
Das Lächeln auf Volvos Gesicht nervte Rigga, die am liebsten laut schreien wollte. Das würde niemanden auffallen, da es im Folterkeller durchaus üblich war, den einen oder anderen verzweifelten Schrei zu vernehmen.
Mechanische Magie
Die Reise ins Rotstreifental war unkomplizierter als Rigga erwartet hatte. Sie ritten mit mehreren Soldaten, die sich auch um die Zelte während der Rast kümmerten.
Tatsächlich wechselte sie kaum ein Wort mit Magikus Fingerschnipp. Er blieb in seinem Zelt und am Tag blieb er in seiner Kutsche, während Rigga eine für sich hatte. Es wäre genug Platz für Garo gewesen, dachte sie. Doch sie hätte ihn ganz sicher nicht angebettelt.
Dass er nicht zu ihrer Verabschiedung gekommen war, schmerzte sie sehr. Doch sie konnte es nicht ändern. Zum Glück hatte sie genug langweilige Bücher aus der Bibliothek mitgenommen, um leicht in den Schlaf zu finden. Trotzdem war es eine öde Reise und sie war froh, dass sie nach dem siebten Tag das Rotstreifental erreicht hatten.
Das Rotstreifental war fast vollständig von den Rotstreifenbergen umgeben und nur durch eine lange Schlucht zu erreichen. Auf der anderen Seite gab es einen Tunnel, der zu den Semu führte, doch dieser durfte nicht genutzt werden. Sowieso wirkte das ganze Tal wie einen übergroße Baustelle, da die Zwerge überall Tunnel in die Berge getrieben hatten.
Sie wurden von drei Zwergen erwartet. Der vordere war ganz in Rot gekleidet und trug eine Ledermütze mit einem Bommel oben darauf. Er blickte Rigga finster aus seinen braunen Augen an. Sein Bart war schwarz und reichte ihm bis zu den Füßen. Die beiden anderen waren blau gekleidet und sahen ebenso ernst drein. Eine freundliche Begrüßung stellte Rigga sich anders vor.
»Ich bin Rigga Kalkwinter und das ist…«, sie wies auf den Magikus, der umständlich aus seiner Kutsche kletterte. »Magikus Fingerschnipp. König Arthur schick uns, damit wir die Kristalle begutachten.« Sie hatte einen freundlichen Tonfall gewählt. Immerhin war sie ja eine Vertreterin vom Hof König Arthurs.
»Ein Kind?« Der Zwerg musterte sie. Dabei ignorierte er wohl die Tatsache, dass sie ihn um einen halben Kopf überragte. Dann sah er zum Magikus. »Dich kenne ich!«
Magikus Fingerschnipp hatte eine echsenartige Gestalt, die viele direkt abschreckte. Seine schwarze Kutte mit der darüber baumelnden schweren Kette, an der das Symbol der schwarzen Zauberer hing, änderten nicht viel daran, dass ihm jeder mit sehr viel Argwohn gegenübertrat.
»Ah, das liegt sicher lange zurück, mein Lieber.« Jeremias Fingerschnipp hatte sich neben Rigga gestellt. »Aber wir sollten unsere alten Streitigkeiten hinter uns lassen.«
»Hmm«, brummte der Zwerg. »Ich bin Hauptmann Spurbreit und werde euch zu dem Tunnel bringen, in dem diese verdorbenen Kristalle gefunden wurden.«
»Ah«, sagte Fingerschnipp. »Verdorben? Sehr schön ausgedrückt. Gefällt mir.« Er lächelte und nickte. »Ich mag verdorbene Magie.«
Hauptmann Spurbreit drehte sich um und ging einfach los. Rigga lief ihm hinterher und Fingerschnipp tat es ihr nach. Die zwei blau gekleideten Zwerge blieben hinter ihnen.
Die Stadt bestand aus flachen Häusern und lehmigen Straßen, die von schlecht gelaunten Zwergen bevölkert waren. Irgendwie - so war Riggas Eindruck - waren Zwerge immer schlecht gelaunt. Ein ziemlich kauziges Völkchen.
»Passt in den Tunneln auf«, sagte Spurbreit ohne anzuhalten. »Es gibt dort die Quarzratten, die sind fast mannsgroß!«
»Kommt auf den Mann an«, sagte Fingerschnipp leise.
»Sind die denn gefährlich?« Rigga hatte nur wenig über das Rotstreifental erfahren. Da sie nicht viel Magie besitzen, kommen sie auch in kaum einem der langweiligen Bücher vor, die Rigga immer lesen musste.
»Sie spucken kleine Steine und können verteufelt gut zielen.«
»Pfui«, sagte Rigga. »Ich könnte wohl auch einen Helm gebrauchen.«
»Dornenwürmer«, sagte einer der Zwerge hinter ihnen. »Sie kommen aus dem Boden oder den Wänden und sind giftig.«
»Okay, danke«, sagte Rigga. Sie mochte die Tunnel jetzt noch weniger. »Dann brauche ich wohl auch eine Rüstung.«
Fingerschnipp lachte leise. »Sie wollen dir nur Angst machen.«
Als sie um eine Ecke bogen, sah sie einen Jungen, der sie ansah und dann winkte. Er trug eine Art Helm, auf der eine Brille zum Herunterklappen befestigt war. Ein mechanischer Vogel saß auf seiner rechten Schulter. Braune Haare schauten strubbelig oben heraus und seine Augen strahlten Rigga an. Er kam ihr irgendwie bekannt vor.»Hau ab!«, brüllte Hauptmann Spurbreit, doch der Junge setzte sich in Bewegung und rannte auf Rigga zu. Einer der blauen Zwerge schob sich vor Rigga und so sah sie nicht was passierte, doch dann schwebte der Junge, getragen von seinem mechanischen Vogel über den blauen Zwerg und landete vor Rigga. »Schön, dass du hier bist, kleines Orakel!«
»Hey«, brüllte der andere Zwerg und wollte auf den Jungen zugehen, doch Fingerschnipp stellte sich dazwischen.
»Wir haben uns auf dem Fest der tausend Feuer nur kurz gesehen. Du bist in uns hineingerannt.« Der Junge lächelte noch immer und es fiel schwer nicht einfach zurückzulächeln. »Ich freue mich, dass dir nichts passiert ist. Wir haben später gehört, dass du angegriffen wurdest, und wir hätten dir sicher geholfen, wenn wir es gewusst hätten.«
»Tobler!« Hauptmann Spurbreit baute sich neben dem Jungen auf. »Was fällt dir ein, uns mit deinen komischen Kunststücken zu belästigen?«
»Er belästigt mich nicht«, sagte Rigga schnell. Sie wollte nicht, dass der Junge ärger bekam. »Wir sind Bekannte.«
»Hmm«, kam von Spurbreit, »Aber wir müssen zu Tunnel Zwölf-Beta-Zego-Unten-Rum.«
»Ihr seid wegen den Kristallen hier?« Irgendwie schaffte es Tobler, dass seine Augen noch mehr leuchteten. Der mechanische Vogel auf seiner Schulter nickte mit dem Kopf, als verstünde er ebenfalls.
»Genau. Du hast einen Vogel.«, sagte Rigga.
»Das sagen alle.«
»Ich meine den auf deiner Schulter.«
Ein weiterer Zwerg kam aus einem der Gebäude. »Tobler? Was ist los?« Dieser Zwerg unterschied sich schon durch sein freundliches Gesicht von all den anderen sauertöpfischen Zwergen. Doch er trug einen Anzug, der nur aus flatternden Bändchen zu bestehen schien. Selbst von dem schweren Hammer, den er lässig über der Schulter trug, flatterten welche.
»Das kleine Orakel«, rief Tobler. »Komm her Onkel!«
Auch an ihn erinnerte sie Rigga schwach. Sie lächelte ihn an, als er sich neben Tobler stellte. »Schön sie wiederzusehen.«
»Tobler ist dein größter Fan im Rotstreifental. Er weiß fast alles über dich, was es zu wissen gibt. Dich zu treffen, ist für ihn die Erfüllung eines Traums.«
»Du hast einen Fan?« Fingerschnipp schüttelte den Kopf.
Das war auch für Rigga neu. Tobler strahlte sie weiter an. Was sollte sie jetzt machen? Irgendwie kam ihr diese Situation komisch vor. Aber vielleicht sollte sie sich daran gewöhnen. Wenn sie einmal das größte Orakel war, würde sie überall Fans haben. Sollte sie schon Zeichnungen von sich anfertigen lassen?
»Er hat auch etwas für dich, das er dir persönlich überreichen wollte. Eigentlich schon auf den Fest der tausend Feuer, aber dort hatten wir leider nicht genug Zeit.« Toblers Onkel stubste ihn an.
»Oh, ja!« Tobler nickte wild. »Warte einen Moment.« Er rannte wieder los und verschwand zwischen den Häusern, während sein Vogel hinter ihm her flog.
»Ich bin Elmund«, sagte Toblers Onkel. »Ich mag Bändchen.« Er grinste verlegen. »Ich mag es, wenn sie um mich herum flattern.«
»Er ist bekloppt«, sagte Hauptmann Spurbreit etwas zu laut.
Dann kam Tobler wieder angerannt. Er hatte einen zweiten Vogel dabei und reichte ihn Rigga. »Den habe ich für dich gebaut. Ich habe die Federn mit Goldlack versehen und die Brust lila, weil mir bekannt ist, dass du am liebsten Feigen magst.«
Rigga war überwältigt. Sie nahm den Vogel entgegen, der wesentlich leichter war, als er aussah. »Was mache ich damit?«
Rigga sah den Vogel an. »Ich nenne ihn Frikadelle!«
Fingerschnipp machte ein Geräusch, als habe er sich verschluckt.
»Setze ihn auf deine Schulter. Er wird dir ein treuer Begleiter sein.«
»Tobler ist der Schüler von Mechanikus Zahnrad. Er liebt es solche mechanischen Dinge zu bauen. Es ist fast, als gäbe es eine mechanische Magie.« Elmund legte eine Hand auf die freie Schulter von Tobler.
»Wir müssen weiter!«, knurrte Hauptmann Spurbreit.
Rigga konnte nicht anders, sie nahm Tobler in die Arme und flüsterte: »Ich hasse übrigens Feigen.«
Verdutzt ließ sie ihren ersten Fan zurück und folgte Spurbreit. Tobler und sein Onkel winkten ihr nach. Jetzt war sie sehr froh, dass sie diese Reise angetreten hat.
Frikadelle surrte leise auf ihrer Schulter.
Pilzgewitter
»Das ist ein lustiges Spielzeug«, sagte Fingerschnipp. »Du könntest jetzt sicher mit der Piratin Morgan auf Schatzsuche gehen.«
Rigga grinste, während sie hinter Hauptmann Spurbreit auf einen dieser dämlichen Tunnel zugingen. Die hatten alle so bescheuerte Namen. Aber neben einer gewöhnlichen Nummerierung hatte der erste Tunnelgräber - also der erste, der hier angefangen hatte zu buddeln - auch etwas hinzuzufügen. Fast so, wie in der Naya-Kirche, wo sie den Sternen am Himmel ihre Namen gaben.
»Ich wäre dann das erste Piraten-Orakel, stimmts Frikadelle?« Sie stupste den Vogel an, dessen Gewicht sie nicht spürte. Bestand er nur aus Luft? Sie würde ihn bei Gelegenheit genauer untersuchen.
»Piraten-Orakel?« Fingerschnipp lachte leise. »Ich habe viel von dir und deinen Ambitionen gehört. Aber weißt du auch um die Gefährlichkeit vom Orakeln?«
Sie waren am Tunnel angekommen und Spurbreit drehte sich zu ihnen um. »So, jetzt wird es gefährlich. Ich hoffe ihr habe keine Angst vor engen Räumen.« Er lachte finster und trat in den Tunnel.
»Wenigstens hat er eine Spur Humor«, sagte Fingerschnipp und ging hinterher. Rigga zuckte mit den Schultern, was Frikadelle dazu veranlasste seine Metallfedern leicht zu schütteln. Sie ging hinterher und der Tunnel schien sie zu verschlucken.
Doch einen Moment später hatten sich ihre Augen schon an das wenige Licht gewöhnt. Spurbreit und Fingerschnipp waren schon etwas voraus und Rigga blieb einfach stehen.
Aus den Wänden ragten wunderschöne Kristalle, die gelbgold funkelten. Wieso holten sie die nicht aus den Wänden? Sie trat an einen heran und zog daran. Plötzlich hielt sie ihn in der Hand.
»Hey!«, kam eine Stimme von hinten. Ein Zwerg mit einer seltsamen Stachelfrisur trat auf sie zu. Er hatte ein freundliches Gesicht, einen kurzen Bart und steckte in einem grünen Anzug, der ihm etwas zu eng zu sein schien. »Lass die Finger davon.«»Aber sie sind wunderschön«, sagte Rigga. »Wieso lasst ihr sie hier?«
»Schön?« Der Zwerg lachte leise. »Leider muss ich dich enttäuschen, denn es handelt sich um Urinsteine.« Jetzt lachte er laut. »Pisse!«
»Ihhh«, sagte Rigga und ließ den Kristall fallen. Er zerbarst auf dem Boden in viele kleine Kristalle. »Das wusste ich nicht.«
»Was machst du hier?« Er kratzte sich am Kopf. »Wer bist du überhaupt?«
»Ich bin Rigga Kalkwinter, das Orakel in Ausbildung und komme vom Hof König Arthurs.« Sie fand, dass sie das schön gesagt hatte, doch wieder lachte der Zwerg.
Er verbeugte sich leicht. »Ich bin Matze Rocktack, dritter Sohn des Beraters von König Thaurissan und sollte hier unten alleine sein.«
»Aha!«, Rigga zog eine Augenbraue hoch. »Du wusstest nicht, dass wir kommen?«
»Besuch von König Arthur ist immer nett« Er zeigte auf Frikadelle. »Du hast einen Vogel.«
Rigga grinste. »Das höre ich jetzt wohl öfter.«
»Du willst zu den neuen Kristallen?«
»Ja, Hauptmann Spurbreit und unser Magikus Fingerschnipp sind schon vorgegangen. Ich wollte mir diese…«
»Urinsteine?«
Sie nickte. »Kannst du mich zu den Kristallen bringen?«
»Klar«, er winkte sie mit sich. Etwas weiter stand eine seltsame Maschine. »Mein Zephyr wird uns sicher hinbringen.« Das Gefährt sah aus wie ein übergroßer Skorpion mit Rädern und man konnte darin sitzen. Allerdings nur ein Zwerg, deshalb musste sich Rigga hinter Matze klemmen und kam sich vor wie eines dieser Äffchen, die an ihrer Mutter hängen.Dann fuhr er los. Langsam zwar, aber sie hörte die Steine knirschen. Dann ein helles Zirpen und an Matzes Kopf vorbei sah sie mehrere dieser Ratten. Sie waren wirklich beeindruckend groß. Als sie die Maschine hörten, drehten sie sich zu ihnen und sofort prasselten Steine gegen das feine Gitter, das vor ihnen angebracht war.
»Euch zeig ich es!«, knurrte Matze und der Skorpion schoss mit irgendwas, dessen Knall die Ratten vertrieb. Sie verschwanden quietschend in irgendwelchen Löchern.
»Es gehört sich doch nicht, den hohen Besuch vom Hof Arthurs so zu begrüßen.« Jetzt lachte Matze wieder und jetzt fuhr er schneller. Sie bogen um eine Biegung und wären fast in Spurbreit und Fingerschnipp hineingefahren. Zum Glück kamen sie rechtzeitig zum Stehen.
»Ich bringe euch das verlorene Kind«, sagte Matze und ließ Rigga herausklettern. Natürlich blieb sie mit einem Bein hängen, fand keinen Halt mit den Händen und landete Kopfüber auf dem moddrigen Boden. Das eine Bein noch immer in Matzes Maschine.
Der Vogel war rechtzeitig von ihrer Schulter geflogen und setzte sich neben ihren Kopf. Sie hatte das Gefühl, das er sie vorwurfsvoll ansah.
»Das passiert mir dauernd«, sagte sie, befreite ihr Bein und stand auf. »Daran solltest du dich gewöhnen.« Sie klopfte auf ihre Schulter und Frikadelle flog auf und setzte sich wieder.
»Da vorne sind die Kristalle«, sagte Spurbreit und zeigte in einen kleineren Tunnel. An den Wänden waren viele Pilze, die aussahen, als seien sie selbst aus Kristallen. Sie pulsierten in einem sanften Blau.
»Warum habt ihr sie nicht herausgeholt?« Fingerschnipp sah Spurbreit skeptisch an.
»Was hat es mit diesen Pilzen auf sich?«
Matze stellte sich dazu. »Die verdammten kleinen Mistviecher lassen sofort einen Schwarm an Sporen los, wenn man sich ihnen nähert. Winzige Kristalle.« Er schüttelte sich. »Wenn sie jemanden berühren, dann wachsen sie auch an demjenigen.«
Fingerschnipp nickte. »Verstehe, dann macht mal Platz.« Er stellte sich vor den Eingang und schnippte mit den Fingern. Sofort flog ein erbärmlich kleiner Feuerball durch den Tunnel. Und wie von Matze versprochen, wurde er von den Pilzen mit Kristallen eingedeckt. Er verpuffte schließlich mit einem leisen Plopp.
»Wow«, sagte Rigga. Fingerschnipp drehte sich stolz grinsend zu ihr um. »Ich meinte die Pilze«, sagte sie schnell und das Grinsen in Fingerschnipps Gesicht erlosch. »Aber der Feuerball war auch… nett.«
»Da ist nichts zu machen«, sagte Fingerschnipp. »Wenn ein Feuerball mit einem Plopp-Geräusch vernichtet wird, dann ist das kein gutes Zeichen.«
»Zumindest nicht für den Feuerball«, sagte Matze leise.
»Verschließt den Tunnel, schreibt eine Warnung dran und alle sind zufrieden.« Fingerschnipp drehte sich weg. »Das ist Magie, die wir nicht beherrschen können. Magie der Natur nannte Schlumberger es.« Er sah Rigga fragend an. »Du hast doch Schlumberger gelesen, oder?«
»Leider«, sagte Rigga nickend.
»Es hilft beim Einschlafen, oder?«
Rigga grinste. »Dafür ist es wirklich gut.«
»Also?« Spurbreit hatte sich neben Matzes Maschine postiert. »Ihr reist wieder ab? Gut.«
»Sobald ihr einen Weg gefunden habt, an die Kristalle zu gelangen, könnt ihr Bescheid geben. Oder es lassen.«, sagte Fingerschnipp. Er sah sich Matzes Maschine an. »Darf ich mal damit fahren?«
»Nein, ist nur für Zwerge.«
»Oh, verstehe.« Er lächelte verlegen. »Ist aber ein schneidiges Gerät.«
Rigga schickte sich an, Fingerschnipp zu folgen, als Frikadelle aufgeregt auf ihrer Schulter hüpfte. Dabei spreizte er die Federn und einige berührten Riggas Gesicht. Es kitzelte ein wenig.
»Dein Vogel wird wild.« Matze lachte wieder.
»Ich glaube«, sagte Rigga, »er hat eine Idee!« Sie ging zum Tunneleingang zurück und nahm Frikadelle auf ihre rechte Hand. Sie sah ihn ernst an. »Willst du es wirklich versuchen?«
Frikadelle hopste erneut.
»Okay, dann los!« Und Frikadelle flog in den Tunnel hinein. Als er in die Nähe der Pilze kam, prasselten die Sporen auf ihn ein. Rigga konnte es hören, als wenn feiner Hagel gegen die Glasscheiben trommelt. Dann war Frikadelle durch. Er griff sich einen der Kristalle, hob wild flatternd wieder ab. Einen Moment lang schien er im erneuten Sporenhagel zu schwanken, doch er schaffte es. Er ließ den Kristall los und landete schließlich bei Rigga auf der Hand. Vor ihren Füßen lag ein kantiger Kristall.
»Verblüffend«, sagte Fingerschnipp. »Sehr verblüffend.«
»So einen Vogel muss ich mir auch besorgen.« Matze war herangetreten. »Ich bin sicher, dass der alte Mechanikus mir einen bauen kann, der auch größere Kristalle holt.«
Rigga bückte sich und hörte Fingerschnipps Warnung zu spät. Denn als sie den Kristall ihn berührte schoss die Magie durch sie hindurch, als würde sie all ihre Adern füllen. Sie spürte den Sog der Zukunft. Doch diesmal war es kein Splitterregen, sondern eher als würde sie unter Wasser etwas verschwommen erblicken.
- Die Prophezeiung schoss aus ihr hervor:
- Es kommt eine Heldin aus dem Eisland. Ein eisiger Drache schien hinter ihr zu stehen.
- Ein Event, dass man schon von den Würfeln her kennt
- Ein Speedrun-Event
- Segnungsevent für Waffenfreunde
- Angebote, die keine sind
evtl. - Waffenerweckungen
- Artefakte, die keiner will
Als sie wieder zu sich kam, lag sie in einer Pfütze und alle sahen sie mit großen Augen an. Frikadelle flog aufgeregt um sie herum.
»Du bist nass«, sagte Matze. »Wo kommt das Wasser her?«
Fingerschnipp schnippte mit den Fingern und ein warmer Wind stieg in einem Wirbel um sie herum auf. Es war angenehm und einen Moment später war sie wieder trocken.
Der warme Wind verschwand.
»Beeindruckend«, sagte Fingerschnipp. »Sehr beeindruckend.«
»Eine Prophezeiung!«, rief Spurbreit plötzlich und grinste zum ersten Mal. »Im Rotstreifental!« Er nahm Riggas Hand. »Danke kleines Orakel, dass du uns diese Ehre erwiesen hast.«
»Den Kristall nehme ich mit«, sagte Fingerschnipp. »Ich will ihn in meinem Laboratorium untersuchen.« Er zog einen kleinen Beutel aus seiner Kutte und schaffte es den Kristall hineinzubekommen, ohne ihn zu berühren. Dann sah er Rigga an. »Du bist mir jederzeit willkommen, kleines Orakel.«
Rigga stand nur da, während Frikadelle sie weiter umflatterte und wünschte sich nur nach Hause. Wünschte sich ein langes Bad zu nehmen. Wünschte sich, dass sie Garo davon erzählen könnte.